Pennys Wochenrückblick Folge 131: Deutschland stirbt den Knochentod! Kein Anschluss und ne Menge Kummer!
Netter Service von T-Mobile: wenn mal wieder das Netz crasht, bekommt man direkt ne Mitteilung aufs Handy!
Ach ja, der Fortschritt! Ich darf Willi Walgenbach zitieren? Darf ich?
Ach, ich mach’s einfach.
Der sagte:
„Die Zeit ist nicht mehr fern, wo ein Toaster intelligenter sein wird als manches Familienmitglied.“
Nun, Willi Walgenbach ist Vorstand des Bundesverbandes für den Elektro-Einzelhandel, der Mann muss also wissen, wovon er spricht.
Und wer weiß, vielleicht sind wir in so einer Zeit ja bereits angekommen und sind bloß viel zu eitel, uns diese Tatsache einzugestehen. Einfach mal die These überprüfen und für eine Woche den guten Grundig-Toaster in die Schule schicken, während Jan-Moritz daheim mit einem Zippo das Weißbrot anwärmt. Bringt der Toaster die besseren Noten nach Hause, wäre der Fall klar.
Fest steht: Mein iPhone ist jetzt schon schlauer als ich. Die richtige Applikation auf den Apple-Knochen geladen weiß das Ding in 99,9 % der Fälle, welcher Song im Radio gespielt wird, während ich in 99,9 % der Fälle versuche, mich auf Verkehr UND den Song zu konzentrieren, meist scheiternd bei Letzterem.
Ich find so was nicht schlimm oder bedrohlich, ich finde es eher angenehm, dass große Hirnareale von der Aufgabe befreit sind, ohrschmalzlösende Dudelei aus den Rundfunkanstalten in geistigen Schubladen zu archivieren. Man muss also nicht alles wissen, man muss nur wissen, welche Applikation man für sein iPhone runterladen muss. Vor gut einer Woche allerdings bekam mein Handy mobiles Parkinson, ich schüttelte es wild, schimpfte auch ein wenig rohrspatzenartig, doch es tat sich: Nichts!
Kein!
Netz!
Stundenlang nicht.
Mir war das relativ egal, ich ließ mir auf dem Balkon von einer milden Nachmittagssonne die Visage anglühen. Als ich später in den Nachrichten erfahren musste, dass ich gar nicht allein war mit meinem Schicksal, sondern dass der Netzkoller so um die 40 Millionen Bundesbürger betraf, war ich weder empört noch verärgert, sondern eher traurig, dass ich ein grandioses Gemeinschaftsgefühl verpasst habe. Man kennt das von Weihnachten und Weltkriegen: Nehmen viele Menschen an einem Ereignis zur gleichen Zeit teil, entsteht ein wohliges Verbundenheitsgefühl von Flensburg bis nach Passau, für das Wissenschaftler bestimmt einen Begriff ersonnen haben, den ich allerdings ad hoc nicht auf der Tastatur habe. Man weiß dann ganz genau: schau, der Nachbar über dir, den du kaum kennst, muss sich demselben Schicksal ergeben wie du selbst.
Ihr seid beide digital amputiert.
Ich hätte in die Siedlung rufen können: LASST UNS FURCHTBAR ALTMODISCH SEIN, KOMMT AN DIE FENSTER, WIR QUATSCHEIN EIN BISSCHEN AUF DIE ALTE ART.
Aber ich wusste nichts vom Total-Blackout bei T-Mobile und war allein mit meinem nicht vorhandenen Leitungs-Trennungsschmerz.
Schon am nächsten Morgen überschlugen sich die Meldungen: „Stille in Deutschland!“ titelte die BILD! Stille in Deutschland? Ich weiß nicht.
Hatte ich am Tag zuvor nicht drei Häuser weiter ein gedämpftes „Wieso hab ich kein verschissenes Netz?“ vernommen?
Auch war man sich nicht zu schade, Deutschland zu befragen, was für fatale Folgen so ein Netzausfall hatte. So wollte Thomas L. aus Stuttgart eigentlich per SMS mit seiner Freundin Schluss machen, leider kam die Textnachricht nicht an, so dass er abends ein peinliches Erlebnis in Form einer Dreiecksbegegnung hinnehmen musste, welche vermutlich nicht ohne Gezeter vonstatten ging.
Natürlich war man seitens T-Mobile recht schnell um Aufklärung bemüht, die allseits bekannte Home Location Register-Software hat nicht funktioniert, es fielen nacheinander die Server aus und schon wusste man nicht mehr, wo die Handynutzer sich befanden.
So etwas ist natürlich reichlich bequem, einen technischen Fehler auf ein technisches Gerät schieben.
Aber ist es wirklich so gewesen?
Viel amüsanter wirkt in mir die Vorstellung, dass eine Putzfrau namens Waltrude Schmitz beim Saubermachen im Serverraum einfach nur über ein systemrelevantes Kabel gestolpert ist und ihren technischen Fauxpas nicht bemerkte. Das hätte zumindest eine viel lustigere Schlagzeile abgegeben:
„Stille in Deutschland…aber wenigstens war der Serverraum sauber!“
Ansonsten hätte man nicht viel zu lachen gehabt und Waltrude Schmitz schon überhaupt nicht!
Was hätte das technikgeile deutsche Volk gefordert? Nicht wenige hätten darauf plädiert, Waltrude am magentaroten Firmenlogo der Telekomzentrale zu kreuzigen. Und Cheffe Rene Obermann hätte persönlich den Hammer schwingen müssen.
So blieb es aber bei halbseidenen Entschuldigungen und einer ganzseitigen Anzeige in der BILD. Ist bestimmt nicht billig, so eine Anzeige, ich denke, für das Geld hätte man tags zuvor auch bequem einen T-Mobile Mitarbeiter zu mir schicken können, der mich persönlich über die Krisensituation instruiert und mir so die Gelegenheit zu meinem immer noch stark vermissten Verbundenheitsgefühl gegeben hätte.
Übrigens:
Von Belang sind die Äußerungen der sogenannten Technikphobiker nicht, die immer wieder mit den Finger schnipsen, wenn mal wieder was nicht funktioniert, aber erwähnenswert sind sie dafür immer wieder. Stets und im Gleichklang ertönt da der Satz:
„Jaja, die Technik. Wenn sie mal nicht funktioniert, merkt man ja erst, wie AB-HÄNGIG man von ihr ist.“
Die Technikphobiker lassen diesen Satz nicht fallen ohne ihn in ein apokalyptisches Timbre einzukleiden, sie gefallen sich in solchen Momenten gern darin, schon immer gewusst zu haben, dass Technik auch Untergang bedeutet. Begegne ich solchen Menschen, würde ich ihnen gern mitteilen, dass eine in der Warteschleife hängende SMS mit dem Text „IHDGGDL Zwinkersmiley, Küsschen“ keine sozialen Unruhen und auch keine verbundenheitsgefühlauslösenden Weltkriege verursacht, aber wollen die Technikphobiker so was hören?
Wollen sie nicht!
Sie gehen lieber wieder, winken genervt ab und verschwinden in ihre nostalgischen Telefonzellen, wo sie dann „früher war alles besser“ rufen.
Natürlich rufen sie es dort nicht lang, sie würden den urinalen Erstickungstod erleiden, wenn sie bei normalen Frühlingstemperaturen länger als 5 Minuten in einer „klassischen“ Telefonzelle verweilen. Dass sich die Technikphobiker an ein früheres Leben zurücksehen, in dem diese gelben Gaskammern das Landschaftsbild mitbestimmten: eigentlich unvorstellbar!
So richtig nachdenklich wurde man aber auf der Internetversion unserer liebsten deutschen Tageszeitung. Dort ergoss sich Paul C. Martin in einem philosophischen Textschwall, dass mir heute noch ein bisschen die Augen klingeln. Zunächst zählte man im Text einige technische Errungenschaften auf: Mähdrescher, Buchdruck, Spinnrad!
Dann wird es aber dramatisch:
„War das Handydebakel ein Flammenzeichen an der Wand? Ein Menetekel?“
Davon abgesehen, dass der durchschnittliche Bild-Verzehrer gar nicht weiß, was genau ein Menetekel ist (das Wort wird öffentlich genauso oft verwendet wie „Sprudel“ oder „Unterbuchse“) hatte ich natürlich sofort wieder meinen Technikphobiker vor Augen. Wieso dürfen solche Leute für die BILD schreiben??? Ein Menetekel ist ein sichtbares Vorzeichen drohenden Unheils. Mit anderen Worten: wenn wir heute keine SMS verschicken können, kann der Weltuntergang nicht weit sein. Aber hey, wenn es den Weltuntergang zur Folge hätte, dann würde ich gern das Menetekel als Hintergrundbild für mein Handy irgendwo für teuer Geld runterladen können, ginge das?
Aber es ging weiter im Text des Paul C. Martin, es wurden bildhaft weitere Technikpannen aufgezählt, nämlich die AKW-Katastrophe von Tschernobyl, den flächendeckenden Ausfall von Stromnetzen, das Zugunglück von Eschede mit mehr als hundert Toten, den Absturz der Weltraumfähre „Columbia“.
Gut, dass Herr Martin sich danach recht schnell beeilt mit der Feststellung, dass das Handy-Debakel gottlob keine Großkatastrophe gewesen ist. Man hätte ja sonst auch gar nicht gewusst, wo man’s einordnen soll zwischen all den Strahlentoten, Deutsche-Bahn-Verunglückten und Astronauten, die aus großer Höhe der Erde entgegensegeln.
Aber es war ein Fingerzeig, den wir nicht vergessen sollten, so Martin.
Uns würde Bescheidenheit fehlen. Und Demut.
Wenn also die Teenager heutiger Bauart cool durch Straßen flanieren und Musik mit derber Sprache aus ihrem Handy scheppert, sollten sie etwas mehr Respekt vor einer Technik zeigen, die es ihnen erlaubt rückenbeschwerdenfrei auf das Tragen eines 20 Kilo schweren Ghettoblasters zu verzichten und somit den örtlichen Krankenkassen und niedergelassenen Orthopäden einen großen Dienst erweisen.
Ich übte mich gestern übrigens auch in Demut! Die Offerte von Herrn Obermann einfach ausschlagend schrieb ich NICHT wie ein mitteilungsgeiler Derwisch sinnlos SMS und verschickte sie in aller Herren Länder, auch wenn mich schon interessiert hätte, ob ich Waltrude Schmitz durch mein Geschreibe dazu hätte bringen könnte, noch mal über das Serverkabel zu stolpern, NEIN!
Ich übte mich schwer in Demut und spielte mit einer Freundin auf dem Balkon ne Runde Yatzy. Yatzy heißt eigentlich Kniffel, aber das Kniffelnetz war tot, keine Kniffelzettel, nur Zettel, wo Yatzy draufstand. Ich beschwerte mich nicht, sondern übte mich in Demut.Ich spielte Yatzy.
Am Ende verlor ich die Partie und hatte Zeit, noch ein bisschen nachzudenken, während die Freundin einstudierte Siegerposen auf dem Balkon präsentierte.
Wenn der Rene Obermann mir einen Tag lang kostenlose SMS anbietet, wenn sein olles Netz ein paar Stunden lang nicht funktioniert, was würde mir dann erst E-ON anbieten, wenn in Deutschland ein Atomkraftwerk in die Luft fliegt?
Einen Monat gratis Strom?
Ach nö, ich würd bescheiden verzichten.