Pennys Wochenrückblick Folge 86: Teenager ausser Kontrolle, ich will ne vierte Eiskugel!
Neulich in Utah!
Evolution kann auch etwas Schreckliches sein.
Denn der tiefe und menschliche Drang, immer noch einen drauf zu legen, produziert nicht nur Heiterkeitsausbrüche. So ist das alarmartige Geplärre eines Dreijährigen Kleinkindes, welches nun unbedingt vier Bällchen Speiseeis in die Waffel hineinportioniert haben möchte, ein echtes Ärgernis im Münzbeutel der Mutter. Und alles nur, weil es festgestellt hat, dass drei Kugeln zwar satt machen, aber noch keine echten Magenprobleme verursachen.
Solche Kinder werden später entweder furchtbar fett und spielen in Fernsehberichten zur Krankenkassenlage der Nation die schwabbelnde Hauptrolle oder sie mutieren zu Amokläufern. So was in der Art.
Doch auch in anderen Bereichen, ist der Drang nach Fortschritt immens, die Sehnsucht nach Rückschritt nicht vorhanden.
Wir erinnern uns mit einer Träne im Knopfloch (oder mit Nasensekret auf der Krawattennadel, wenn wir keine Knöpfe haben und der Zinken gerade sowieso läuft):
Die Supernanny wuselte wöchentlich über unsere Fernsehschirme, um Deutschland an’s Pädagogenkinn greifend klar zu machen, dass Kinder nicht schreien, weil sie einen an der Waffel haben, sondern weil sie nicht richtig geliebt werden. Da die Brüllkrümel in diesen Sendungen nun schon seit einer ganzen Weile nicht mehr richtig in den Arm genommen wurden, wurde die Situation natürlich kompliziert und unübersichtlich und mit ein paar warmen Worten war es nicht getan.
So wurden Collagen erstellt mit allerlei familienfreundlichen Schlagwörtern wie:
„Wir hauen uns gegenseitig keine Gabeln mehr in die Augen, nur weil Anna das Spielzeugauto von Peter benutzt.“
Wenn Peter nun diese relativ einfache Regel nicht begriffen hat und sie dadurch aushebelte, indem er „Gabel“ durch „Heckenschere“ ersetzte, wurden schwerere Geschütze aufgefahren:
Es ging auf die stille Treppe.
Dort konnte der heranwachsende Derwisch darüber nachdenken, ob er zukünftig und für alle Zeiten der Blindenhund seiner Schwester sein wollte oder ob er lieber damit aufhört, seiner Blutsverwandten die Pupille zu durchlöchern.
Aber sein wir ehrlich.
Irgendwann wurd’s lahm.
Gut, die Kinder waren verschieden, manchmal wurden auch Roundhouse Kicks verteilt und okay…die Treppe sah auch meist anders aus.
Aber was für die zuschauenden Jugendlichen noch als Lerneffekt durchging („Ich muss mich benehmen, sonst kommt die Nanny und dann macht die ne Collage mit uns und ich muss mit Papa Mensch ärgere Dich nicht spielen, dessen Regeln er bis heute nicht begreift, weil er nicht einsehen will, dass es nicht erlaubt ist, über die eigene Figur zu springen und das endet jedes Mal in Streit, Chaos, nicht zu stoppenden Blutungen!“), rief beim erwachsenen Publikum gepflegte Langeweile hervor.
Diese Woche war es dann soweit.
Äwolucion. (Das ist spanisch für „Evolution“, nur fall’s ihr grübelt)
Aus der bei jung und alt so beliebten FFF Reihe (Fernsehen für Follidioten) kreierte RTL einen neuen Stern am Infotainment-Himmel.
Teenager außer Kontrolle – Letzter Ausweg Wilder Westen.
Da nämlich die Supernanny aufm Betriebsausflug war oder sich an die richtig harten Fälle nicht ran traute, wurden nun härtere Kanonen rangerollt.
Zunächst Vorberichte.
Gezeigt wurden sechs echte Problemfälle unserer Gesellschaft, Kids bzw. Jugendliche, bei denen Mutter Pubertät all ihre Gnadenlosigkeit offenbarte.
Schön, dass man sich da allen Klischees bedient hat, die es unter Jugendlichen so gibt.
Prangerartig wurden die Protagonisten zunächst von ihren Eltern vorgestellt und damit man gleich den Eindruck hat, dass das Kind n echtes Arschloch ist, zeigten die Eltern mit dem nackten Zeigefinger auf ihr Kind. Oskarreif.
Zunächst haben wir hier
Vanessa
Vanessa ist die Klischeesäuferin.
Mit anderen Worten, das Gör vernichtet Alkohol, bevor er Menschen in die Hände fällt, die damit nicht umgehen können. So viel Opferbereitschaft stößt bei ihrer Erziehungsberechtigten unverständlicherweise auf geringe Gegenliebe. Da Vanessa auf ihrer Alkoholvernichtungsmission natürlich vollauf beschäftigt ist mit Kotzen, die Besinnung verlieren und in die Wohnung ihrer Mutti pinkeln, findet sie natürlich nur selten Zeit für Ihren Berufsvorbereitungskurs. Verständlich, wer eine Mission hat, ein Ziel, der muss auch Prioritäten setzen. Da aber Vanessa’s Mutter von Missionaren nicht viel hält und auch mal von ihrer Tochter als Sandsack missbraucht wird, weiß sie sich nicht anders zu helfen.
Simon
Simon ist der Klischeekiffer.
Mit anderen Worten, er dampft nur so durch den Tag. Wo der Simon ist, muss man erst mal mit der flachen Hand eine ganze Menge Haschischrauch hinfort wedeln. Eigentlich ist der Simon ja nun kein richtig Schlimmer, denn wenn er bekifft mit seinen Kollegen wie ein Schluck französisches Mineralwasser in der Kurve auf dem Sofa hockt, kann man prima mit ihm über den Geschmack von Schokolade und über die Einführung einer vierten Grundfarbe diskutieren. Weil der Simon den Scheiß aber nicht nur raucht, sondern auch weitervertickt, also kein reiner Drogenvernichter wie Vanessa ist, finden ihn seine Eltern nicht mehr so töfte wie früher, als er mit anderthalb Jahren noch in seine Pampers geschissen hat. Tja, das waren noch Zeiten.
Marvin
Marvin ist der Klischeegangtarrrrrr. Mit anderen Worten, wenn der Marvin jemanden ganz ganz doll einschüchtern möchte, macht er komische Verrenkungen mit seiner Hand, sagt selbstbewusst „Jo!“ und setzt die Bierpulle an. In seiner Freizeit pöbelt Marvin mit seinen Kollegen Passanten an („Aha! Sie waren also im Aldi einkaufen…Her mit dem Speisequark oder es setzt was!“) und schwängert Frauen, um ihnen hinterher mitzuteilen, dass er seinen väterlichen Pflichten momentan nicht nachkommen könne und sie daher abtreiben müssten. Ein echter Pfundskerl halt, der zu seinen Taten steht.
Gina
Oh ja, die Gina. Gina ist die Klischee-Punk-Göre.
Mit anderen Worten, der Wasserfarbkasten aus der vierten Klasse wurde umfunktioniert zum Haare färben, die Schere aus dem Kunstunterricht wird zum Klamottenzerschnippeln missbraucht und Mamas Stricknadel ist als Piercingnadel gerade gut genug. Ihre ständigen Begleiter sind zwei Ratten, wobei der Betrachter noch scharf überlegt, ob die beiden Nager ihr die fette Narbe in’s Dekolletee geknabbert haben. Weil „Punk“ und „Autorität“ sich gegensätzlich ausschließende Faktoren darstellen, prügelt sich Gina durch halb Essen durch. In Essen geht schon folgender Witz um:
„Würdest du dich gerne mal mit der Gina boxen?“
„Nene, kein zweites Mal.“
In ihrer beeindruckenden „mir-is-alles-scheissegal“-Haltung torkelt Gina sturzbetrunken zu Hatebreed-Konzerten und gröhlt Texte in den Saal, die sie vermutlich selbst nicht versteht.
Anarchie auf zwei Beinen und in Reinkultur.
Gerrit
Gerrit ist der Klischee-Vollpfosten.
Mit anderen Worten, er findet etwas furchtbar crazy, freakig und abgedreht, worüber echte Jugendliche, die auf die schiefe Bahn geraten sind, in stillen Stunden herzhaft lachen. So hat der Gerrit, der alte Pate aus Moers, mal die Frechheit besessen an zwei (!!!) aufeinander folgenden (!!!) Tagen (!!!) den Feueralarm (!!!) bei Saturn (!!!) auszulösen. Und das nur (!!!), weil er die Einsatzfahrzeuge (!!!!!!) so toll findet.
Das findet die Redaktion von Pennys-Wochenrückblicke (bestehend aus mir und ein paar Ausrufezeichen) derart abgefahren, dass sie den Oscar für die übelst, brutalste Aktion des Jahres gern an Gerrit vergeben würde…wenn sie nur nicht so eine Angst vor dem Kerl hätte.
Daniel
Daniel ist der Klischee-Nerd.
Mit anderen Worten, der Kerl muss von seinem PC-Sessel mit einer Brechstange herausgerissen werden, wenn er mal auf’s Klo muss.
Über die Jahre hinweg hat Daniel die schlaksige Form seines PC-Sessels angenommen, wenn dereinst die alles vernichtende Flutwelle aufgrund klimatischer Verwerfungen durch den Menschen auf Sylt zurollt, dann können wir den Daniel als menschlichen Deich abschreiben.
17 Gramm Muskeln auf 35 Kilo Körpergewicht, da kriegt man gerade mal nen Mausknopf mit durchgedrückt. Weil der Daniel aber ein furchtbar intelligentes Kind ist und angeblich einen IQ von über 130 besitzt, ist er in der Lage zwischen Counterstrike und der Realität zu unterscheiden, indem er seine Mutter zeigt, dass ein echtes Messer im echten Leben echte Schnittwunden verursachen kann.
Da aber die 17 Gramm Muskelkraft komplett im Zeigefinger stecken, darf Daniels Mutter weiterhin an einem Stück durch die Weltgeschichte wandern.
Anhand der Lebensläufe der Kids kann man’s schon erkennen: Da hilft keine Treppe und keine Nanny. Da hilft nur „im Fluss versenken“ oder ab nach Utah. Da aber unsere Flüsse schon genug verseucht sind, schickte man die sechs Teilzeit-Denunzianten auf ne Westernranch nach Bush-Town. Dort wartete ne Nanny mit Cowboyhut, die ihnen klarmachte, dass es so jetzt nicht mehr weitergeht. So musste Einheitskleidung getragen und der Schmuck abgelegt werden. Bei Gina war das ein bisschen problematisch, die bekam ihr Zungenpiercing nicht raus. Als erzieherische Maßnahme hätte man ihr ja gleich die Zunge samt Gaumen rausreißen können, da die Sendung aber vor 22 Uhr ausgestrahlt wurde, hat man wohl darauf verzichtet.
Stattdessen fing man harmlos an. Die Jugendlichen mussten sich in nen Steinkreis setzen und die Schnute halten. Sehr effektiv, Punkgöre Gina fühlte sich bestimmt direkt an Demonstrationen erinnert, während Kiffer Simon sich bestimmt lippenknetend gefragt hat, ob man die Gesteinsbrocken wohl rauchen kann. Daniels inneres Feuer befahl ihm, mit den Gesteinsbrocken die Drill-Farm und ganz Utah gleich mit zu zerstören, aber Sie wissen schon, 17 Gramm Muskelkraft auf 35 Kilo Körpergewicht.
Gerrit machte auf Aggro und weigerte sich standhaft, den Kreis zu betreten, der tiefere und pädagogische Sinn von Steinkreisen kann auch nur schwer von Menschen nachvollzogen werden, die Spaß an Feuermeldern haben.
Als man schließlich Pubertätschaoten davon überzeugen konnte, sich zwischen die Brocken zu hocken und darin auch noch ein Zelt aufzubauen, war Ruhe im Karton und alle mussten ihr Leben aufschreiben. Zumindest die, die schreiben konnten.
Tja, nachdem ein indianisch sprechender Cowboy den tasmanischen Aushilfsteufel Gerrit ins Koma gequatscht hat, war dann schon Schluss für diese Woche. Nächste Woche dürfen wir uns an weiteren Eskapaden der sechs Reiter der Pubertäts-Apokalypse erfreuen.
Natürlich bleiben Fragen übrig.
Warum muss man Kids, die sich nicht benehmen können, gleich über sieben Trilliarden Wasser fliegen lassen, damit sie in nem Steinkreis lernen, dass "Eltern bedrohen" und "Alkoholbestände weg saufen" kein dauerhaftes Lebenselixier sind. Hätte es da nicht auch der Kurler Busch in Dortmund getan? Da gibt’s schließlich auch Steine und man könnte den Jugendlichen ja einfach einreden, dass sie in Utah wären, das checken die sowieso nach dem dritten Tag nicht mehr.
Und warum wurde Britney Spears nicht gezeigt? Warum bloß nicht?
Kahlrasiert und hüfttätowiert wäre sie die Königin der Kind-Rebellen gewesen und hätte den Anwesenden in feinstem amerikanisch erklärt, wie man ohne Unterhose aus Luxuslimousinen aussteigt. Ach, sie wäre die perfekte Dozentin gewesen.
Naja, vielleicht nächste Woche.
Neulich in der Eisdiele!