28.1.07

Pennys Wochenrückblick Folge 82: Jetzt wird's klamm im Kopp!

Entschuldigung.
Aber wir müssen hier noch mal über Werbung reden.
Werbung dient – das weiß ich genau, da hab ich mich eingelesen – der bewussten Beeinflussung des Menschen durch das Wecken von Bedürfnissen auf emotionaler Ebene. Laut Wikipedia kann Werbung vergleichend, appellierend und neugierig machend sein.
Und sie kann betroffen machen.
Das stimmt.
Denn betroffen war ich nicht zu knapp, als mir vor einigen Tagen ein Werbeclip vor die Augen huschte.
Aber anders angefangen:
Viele Firmen probieren ja, ihre Produkte unter der Hinzunahme erotischer Hilfsmittel an den Mann oder die Frau zu bringen.
In der Parfumbranche ist das seit Jahren häufig wiederholte Praxis, geht es im Fernsehen um reine Umluft verpestende Duftwässerchen, die man sich Rötungen verursachend an den rasierten Hals klatscht, kann man gewiss sein, dass halbnackte
Wesen sich rekeln und winden. Nicht weil’s so furchtbar stinkt, sondern weil’s so toll ist.

Dass die Luststeigernde Wirkung von befüllten Flakons ein bisschen zu hoch gehängt wird merkt man ja schon daran, dass in die Menschen in den Parfümerien des Landes sich beim Einkauf nicht die Kleider vom Leib pflücken und sabbernd übereinander herfallen.
Aber wir wollen nicht unfair erscheinen, Erotik in Parfumwerbung ist durchaus legitim, sprechen die Düfte doch eines unserer Sinnesorgane an und da hier und da die Leute vor sich hin behaupten, dass ihr Gegenüber furchtbar toll duftet, wollen wir sie verzeihen, all die unangezogenen Parfumprobanden.

Blöd wird’s natürlich, wenn auch andere Branchen die Erotik für sich entdecken, gerade so als hätte man auf einer einsamen Insel eine Schatztruhe unter einer Palme entdeckt, die man aber vorher als Trittleiter dazu benutzt hat, um erfolgreich Kokosnüsse zu pflücken.
Das Haarshampooproduzierende Gewerbe ist da ein leuchtendes Beispiel.
Jahrelang war man da keinem Stress ausgesetzt, man setzte Clips ins Fernsehen, in denen Mamis ihren Kindern die Haare wuschen und was so ein richtig tolles Shampoo sein wollte, das brannte nicht in den Augen. Dann gab’s noch Anti-Schuppen-Shampoo-Werbung, in denen ganze Schneemänner sich auftürmten auf den Schultern geplagter Männer. Doch Kraul und Knet, mit dem richtigen Zeug wurden die Schneemänner verbannt und man konnte wieder unbesorgt durchs Haupthaar wuscheln.

Dann kamen die Früchte.
Und damit zwangsläufig die Erotik, wie damals im Garten Eden.
Irgendein schlauer Fuchs war nämlich der Meinung, dass man so ein Shampoo doch auch fetziger machen kann. Und so wurd das Zeug getunt, mit Extrakten aus Trauben, Äpfeln, Kiwi und Brombeeren. Nicht genug, dass der Kopf danach riecht wie ein geplatztes Multivitamin-Trinkpäckchen, nein, diese Shampoos sollten ein wohliges Gefühl auslösen. So waren in den Werbungen Frauen zu besichtigen, die stöhnend unter der Brause standen und sich lasziv den Schädel einschäumten.
Was das nun mit der Wirklichkeit zu tun haben könnte, kann sich ja jeder gerne selbst fragen.

Doch seit dieser Woche haben die Macher von sexy Werbespots noch einen draufgesetzt:
Hustenbonbons.
Denkt man an Hustenbonbons, will einem spontan nichts Erregendes einfallen.
Würden wir jetzt hier ein knappes Brainstorming veranstalten, hätte man beim Thema Hustenbonbons andere Bilder im Kopf:
Menschen, die röcheln und krächzen, kaum noch sprechen können, der Verständigung auf verbaler Ebene beraubt, immer einen schleimigen Klumpen neben dem Kehlkopf, den es unter lautem Getöse abzuhusten gilt. Hustende Menschen werden auch immer mit schwarzen Augenringen in Verbindung gebracht. Und gerötete Augen. Und Leichenblässe.
Wie wir sehen, ist in unserer Vorstellung ein Mensch, der so einen richtigen Husten hat, nur ein bis zwei Nuancen von einem Vollblutzombie entfernt. Auch das Geräusch des Hustens ist kein wohliger Klang, als wenn Elefanten einen Kasten Bier zertreten, so hört sich das ja bei manchen an, wenn sie „abhusten“.

Nun, bei Wick sieht man das alles ein bisschen anders…wer einen Husten hat, der kann’s auch erotisch bekommen und so wurde ein Werbespot erschaffen, der definitiv in die heiligen Hallen schwachsinniger Werbung einen gut beleuchteten Vitrinen-Ehrenplatz bekommt.
Wer das Machwerk nicht kennt:
Wir sehen einige Frauen. Sie schürzen die Lippen, streicheln sich sanft über den Hals, gucken keck über die Schulter. Ein Musikstück ertönt, bei dem der Zuschauer sich nicht recht entscheiden kann, ob es besser für den Fahrstuhl oder einen drittklassigen Porno geeignet wäre. Dann eine sanfte Frauenstimme, die gar revolutionäres verkündet:
„Wick hat die Halsbonbons neu erfunden!“
Aha, gut, an der Stelle wurde ich neugierig.
Gefolgt von DEM Satz überhaupt.

„Jetzt wird’s feucht…im Mund!“

An der Stelle war ich dann betroffen.
Die eben noch trockenen und halbnackten Damen sehen sich plötzlich einem Schwall von Wasser ausgesetzt, es perlt, trieft und spritzt von alle Seiten und die sanft klingende Stimme erzählt uns, dass die neuen Wick-Bonbons auf natürliche Weise Wasser im Mund freisetzen und dass das alles viel viel besser für den Hals ist.
Nun gilt es, zwei Aspekte zu durchleuchten.
Zunächst würde mich interessieren, warum um alles in der Welt man ein Hustenbonbon auf den Markt werfen muss, welches die Speichelproduktion aufs äußerste anregt?
Möchte Wick, dass wir innerlich ertrinken beim Verzehr von Lutschkugeln?
Wollen wir das wirklich?
Menschen die mit ihrem Husten durch die Strassen stolpern und denen Sturzbäche aus dem Gesicht laufen? Meckerte man gestern noch über Leute, die eine „feuchte Aussprache“ haben, heißt es dann ab heute: “Aha! Ein Wickbonbon.“

Der zweite Aspekt ist aber die pseudoerotische Botschaft. Denn selbst wenn wir uns nun vorstellen mögen, dass unser Mund nie wieder trocken wird, wenn wir erst mal so ein Wick-Bonbon verzehrt haben, stellt sich die Frage, was daran nun so libidös ist, dass man einen derartigen Werbespot abdrehen muss.
Auch das betonen des Wortes „Mund“ im oben genannten Satz erklärt sich nicht von selbst.
Will uns Wick etwa mitteilen, dass es auch noch an anderen Körperstellen nass werden kann?
Über so viel Aufklärung könnte man ja froh sein, wenn’s nicht so lächerlich präsentiert würde.

Ich kann sie vor mir sehen, Erika und Karl-Heinz wollen den ehelichen Akt vollziehen. Doch Erika, ihres Zeichens Referentin an der örtlichen Universität und mit vielen guten Freundinnen gesegnet, ist ein Mensch, der dauernd quasselt. Das macht die Schnute trocken und das Küssen zur Qual. Doch da zieht Karl-Heinz aus dem Nachtschränkchen eine Tüte Wick-Bonbons heraus. Ab da krachts natürlich auf dem Lattenrost.

In Schanghai hat man übrigens keine Probleme mit Mundtrockenheit
Anders ist es nicht zu erklären, dass die Menschen dort, wo sie gehen und stehen, auf die Strasse speien. Selbst Taxifahrer haben im Land der aufgehenden Sonne wohl die unangenehme Eigenschaft, ihre Körperflüssigkeiten in der ganzen Stadt zu verteilen.
Deswegen bekommen sie Spucknäpfe, die sie sich ins Taxi hängen. Wo sie diese allerdings leeren, wissen wir nicht. Und wir wollen es auch nicht erfahren.
Aber was wir unbedingt verhindern müssen, ist ein Export unserer Flüssigeitsteigernden Bonbons ins ferne Asien. Denn haben wir auch keine Angst davor, dass unser Planet aus der Bahn geworfen wird, wenn alle Chinesen gleichzeitig ihre Fahrradklingel betätigen, müssten wir uns doch fürchten, was passiert, wenn alle Chinesen ein Wickbonbon zu sich nehmen.
Das Ende der Welt, die endgültige Apokalypse.
Feucht, aber lustig.

20.1.07

Pennys Wochenrückblick Folge 81: Revenge of the Nature, Germany vom Winde verweht!

Jetzt ist alles vorbei.
Tote Äste liegen wie morsche Knochen auf den Strassen und singen ein stummes Klagelied, in dessen Refrain bestimmt die Worte „lieblicher“ und „Stamm“ vorkommen.
Rote Ziegel liegen zerbröselt und frustriert zusammengefegt im Rinnstein und harren der Dinge die da noch kommen mögen, es war ein harter Sturz vom Dach der Welt auf den (Ziegel-)Boden der Tatsachen.
Eisenbahnschienen schicken dreiseitige Beschwerdebriefe an den Vorstand der Deutschen Bahn, sie hätten nichts zu tun, dies sei ein auf Dauer nicht haltbarer Zustand.
Und die Menschen?

Ja, die Menschen.
Angefangen hat die Woche ja noch recht harmlos, ein bisschen windig werde gegen Donnerstag, das konnte man den wetterorakelnden Fröschen im Anzug nach den Nachrichten entnehmen.
Man war sich jedoch recht schnell einig – vermutlich hatte man einen etwas genaueren Blick in die Glaskugel gewagt – dass man es hier eher mit einem Orkan zu tun und man sich auf einen heißen Tanz einzustellen habe.
Es passierte, was immer passierte, wenn in Deutschland alle vier Jahre ein Sturm durchzieht:

Man wird komisch.

Zunächst wurden genauestens die Nachrichten verfolgt. In Zeiten ständig abrufbereiter Information via Fernseher und Internet konnte man minutengenau verfolgen, wann der Sturm wo vorbei ziehen würde. So konnte man genau planen, ob die heraushängende Post im
Briefkasten Wegflieg-Potenzial entwickelt und ob die Wäsche eventuell doch besser nicht auf dem Balkon stehen bleibt.
Höhenlagengeschwindigkeitsrekordprognosen wechselten sich ab mit der ständig wiederholten und dringenden Warnung, dass man am Donnerstag am besten gleich zu Hause bleiben solle, ein schöner Ansatz zwar um der Sicherheit aller Deutschen einen Vorschub zu leisten, doch aufgrund der Tatsache, dass manche trotzdem arbeiten mussten, leider nicht flächendeckend durchführbar.
Schon bald hatte jeder – wie eigentlich bei jedem Wetter – eine Meinung parat.
Vom harmlosen „Huihuihui, da kommt aber ganz schön was auf uns zu!“ bis zu einem apokalyptischen „Das ist dann wohl das Ende der Welt!“ reichte die Palette amateurmeteorologisch geschulter Mitglieder unserer Bevölkerung.

Schlimm und gruselig sind aber Menschen, die den Orkan personifizieren und ihm Vorsätzlichkeit, Bösartigkeit und schlechte Laune vorwerfen.
So können manche Menschen aufgrund der Dramaturgie nicht einfach sagen, dass „es 110 Verletzte bei dem Sturm gab“, sondern es war der Sturm selber, der dies verursacht hat.
Wenn man dann noch den diabolischen Namen "Kyrill" trägt, sind die Leute sowieso davon überzeugt:
Es handelt sich dabei eindeutig um

Riewäntsch of the Näjtscha.

Dabei haben wir es hier mit typisch menschlichem Verhalten zu tun. Denn weil wir leider alle keine voll ausgebildeten Kachelmanns sind, was Kumuluswolken und deren Entstehung betrifft, müssen wir jemandem die Schuld geben und den Zeigefinger empört ausstrecken.
Diesmal ist’s eben Kyrill.
Da kommt schon das Grausame im Namen durch.
Klar, Stürme, die "Winnifred" oder "Curly Sue" heißen, die nimmt keiner ernst, aber Kyrill?
Da stellen wir uns doch einen richtig mies gelaunten Orkan vor, der morgens unrasiert seinen verfilzten Hut aufsetzt, seinen Koffer in die Hand nimmt, seiner Tornadofrau keinen Abschiedskuss gibt und mit herunterhängenden Mundwinkeln und zerfurchter Stirn zur Arbeit…weht.
„Muss n bisschen Wind machen!“ grummelt er seiner Tornadofrau hinterher, während die aufgeregt durch die Wohnung wirbelt.
Mutter Natur ist natürlich die Konzernchefin von all diesen bösartigen Orkanen, Erdbeben und Vulkanausbrüchen.

Was Mutter Natur anordnet, muss ausgeführt werden.
Rütteln, spucken, Bäume umknicken.
Die haben sowieso einen schweren Stand, werden auch personifiziert
Mein Freund der Baum, das war gestern, in der landläufigen Vorstellung sind seit dieser Woche Bäume Typen, die versammelt am Straßenrand stehen, sich aufplustern und Autos demolieren.
Terror Trees sozusagen.
Wenn man Mutter Natur und dem bösen Herrn Kyrill wirklich eine böse und nicht gut gelaunte Absicht unterstellt, muss man aber doch sagen, dass wir es dann mit Schlampigkeit zu tun hätten.

Eine richtig fiese Mutter Natur würde sich nämlich nicht einfach nur mit ein paar umgestürzten Bäumen begnügen, ich denke, das könnten wir uns von der Backe putzen.
Erdspalten voll stinkender Chemikalien und lodernder Feuer würden sich auftun, in die wir mit unseren die Atmosphäre verpestenden Autos hineingurken.
Mutter Natur würde herabkommen vom Himmel (oder von wo die gute Dame auch immer wohnt), schrill kichern und ein Inferno lostreten, welches die Welt noch nicht gesehen hat und wogegen die apokalyptischen Reiter wie eine Krabbelgruppe auf Kartoffelbrei aussehen würde.
Aber ist ja nun mal alles Humbug.
Sämtliche Experten verkünden ab Windstärke siebenkommafünf, dass jetzt aber wirklich Schluss sein muss mit der Umweltverschmutzung. Dies wird vehement gefordert, flaut aber mit dem Wind proportional wieder ab.
Ist ja sowieso mittelprächtiger Unsinn, schließlich haben wir auch schon Eiszeiten gehabt, ohne dass jahrhundertlang zuvor Autos über den Globus gebraust sind.
Denkt der Bürger und steigt in seinen 25 Liter Jeep.

Nun, woran wir merken, dass es uns trotz Kyrill mit Hut trotzdem noch ganz gut geht?
Es gibt immer noch Tausende, die das ganze fotografisch dokumentieren und an Zeitungen schicken. Private Fotos privater Menschen.
Als könnte ich mir selbst nicht vorstellen, wie das so ausschaut, wenn der Wind draußen eine Nummer zu heftig weht.
Als wenn ich nicht einfach meine Jalousie hochziehen und rausgucken könnte.
Aber nein, andere riskieren ihr Leben nur für mich, machen klick, und transportieren Daten von A nach B, damit ich mich am nächsten Tag an der Bildervielfalt erquicken kann, ach guck mal hier und guck mal da, ein Baum auf einem Auto, welch Überraschung.
Wir sehen: Kyrill war noch nicht krass genug. Die Leute nageln noch keine Bretter vor die Fenster und man versteckt sich noch nicht im Keller.
Ich fürchte allerdings, dass wir dann, wenn dies einst passiert mit Sonderseiten rechnen müssen:
"Die besten Kellerfotos.
So lebten wir unter Horrororkan Edmund."


Euch allen eine windfreie Woche.

16.1.07

Pennys Wochenrückblick 80,5 Spezial: Mitternachtsverkaufsaddonmediamarktraid!

Natürlich gilt es in solchen Zeiten sorgsam zu differenzieren und genauestens zu filtern.
Denn in der landläufigen Meinung ausschließlich Email-öffnender PC-Nutzer sind es doch meist die Freunde von Ego-Shootern, denen mit Argwohn begegnet wird.
Könnte ja direkt losballern.
Nervöser Zeigefinger.
Und das linke Auge, das zuckt immer so.
Ganz anders dagegen die Rollenspieler.
Feine und gepflegte Damen und Herren, schwer naturverbunden, meist bärtig – also die Herren – und immer einen höflichen Satz auf den Lippen.
Rollenspieler sind ein illustres Völkchen und wenn die jemandem Gewalt antun, dann nur auf dem Brett und auch nur, wenn es gegen den bösen Drachen auf dem hohen Berg geht.
Nun, wann immer ein kleines und feines Hobby zur Massenware verkommt, kann man sich sicher sein: der Mob steht bereit.

Eigentlich war der Montag, dieser 15.01.2007, ein friedlicher und fröhlicher Tag. Den ganzen Tag schien die Sonne von einem doch sehr unaufgeregten Himmel hinunter, laue Lüftchen trieben harmlosen Schabernack mit den Herbstblättern.
Dann kam die Dunkelheit.
Ich machte mich auf, setzte mich auf mein Wolfsburger Gefährt und fuhr los:
Zum Media Markt nach Bochum.
Ritterlich handeln wollte ich, denn meine Freundin lag mit Rückenpein verursachender Wurzelblockade auf der Couch.
Um ihr die doch sehr beschwerliche Reise in die Dortmunder Innenstadt zu ersparen, fuhr ich des Nachts los…

…zum Mitternachtsverkauf der World of Warcraft Erweiterung: Burning Crusade.

Ich hätte den Satz aus dem schon vorab veröffentlichten Trailer ernst nehmen sollen:
„Ihr wisst nicht, was Euch erwartet!“
Das stimmte.
Erwartet hätte ich einige, maximal 400 Leutchen, des Einschlafens nicht mächtig und nicht abwarten könnend mit dunklen Ringen unter noch dunkleren Augen.
Als ich um 23:30 am Media Markt im Ruhr Park eintraf, standen da allerdings schon 400 Leute.
Ein älterer Herr hinter mir prägte sogleich den Satz des Abends:
„Ich dachte, hier würden sechs Leute stehen und ich wär der Siebte!“
Humor ist doch was Schickes.
Nun, in der Kälte kam man ins Gespräch, welcher Server? Welche Rasse? Und seid ihr schon in Naxx…? Ja, wir auch nicht so wirklich…
Und so weiter. Währenddessen füllte sich der Platz weiter.
Bis es grob geschätzte 1.500 Leute waren. Zustände ein bisschen wie in Japan, wenn mal wieder eine neue Spielkonsole veröffentlicht wird.
Man beginnt dann nachzudenken.
Was – mache – ich – hier – eigentlich?
Ich stehe in der Kälte für ein PC-Spiel?
Ja, ich stehe in der Kälte für ein PC-Spiel.
Menschen tun seltsame Dinge, wenn es um ihre Hobbys geht, Generationen von volljährigen Herren, die sich eine Schaffnermütze aufsetzen und dann im Keller in eine Trillerpfeife blasen, während der Mini-ICE den Plastikbahnhof Augsburg durchfährt, können ein Liedchen davon trällern.
Während ich so sinnierte, öffneten sich 100 Meter vor mir die Türen. Alles, was danach kam, lässt sich nur als…ja als was lässt es sich am besten beschreiben?
„Odyssee“ erscheint mir als Wort gar nicht so schlecht.
Wie das so ist, mit Dingen, die man haben will: man geht nicht, man rennt.
Die ganz vorn sind gerannt. Da hat man als Hintenstehender den Vorteil, dass das gar nicht geht. Ja, als Hintenstehender schlendert man förmlich in den Laden hinein und auf den Stand mit den Addons zu.
Als Nachzügler hatte ich nur das Problem, dass ich den Stand, den bestimmt wunderschön aufgestellten und drapierten Stand nie in seiner Gänze zu Gesicht zu bekommen. Standen ja 400 Leute vor. Und hinter mir noch mal ein paar Hundert.
Spieleverpackungen erhoben sich wie frisch geschlüpfte Flugmounts in die Luft. Ich sah Menschen mit gespreizten Fingern voller Burning Crusade Addons zur Kasse eilen und fragte mich: Machen die nen eigenen Laden auf? Was wollt ihr mit so vielen Spielen? So viele Freunde könnt ihr gar nicht haben!
Ich selber stand da in der Warteschlange. Und stellte fest, wie klein die Welt wirklich ist:
Denn neben mir stand – und das bei 1500 Leuten – ein Mann, mit dem ich schon zusammen gezockt und Monster erlegt hatte. Grüß Dich noch mal, Gorgorth.
Dann war aber erst mal wieder Pause, die Mediamarkt – Mitarbeiter am Horizont waren nur schemenhaft an ihrem Stand zu erkennen, man sah nur, es gab keine neuen Spiele mehr. Zumindest zunächst nicht.
Dann hieß es, nur ganz leise: Man solle zurückgehen.
Wer hatte das gesagt?
Ganz einfach, der Mediamarkt-Verkäufer.
Zurück? Aber wohin? Wie sollte ich 1000 Leute hinter mir auffordern, zurückzugehen? Und warum überhaupt? Sollten wir nur mehr Anlauf nehmen beim Spiel-Erstürmen? War ich aus Versehen im Maso-Markt gelandet?
Nein, man kam nicht an die Ware ran, die irgendwo in Kartons oder heimlich gegrabenen Tunneln unter dem Markt versteckt waren.
Dann ging’s wieder. Für ungefähr drei Minuten. Wieder sah ich Menschen mit mehreren Verpackungen grinsend zur Kasse laufend, während ich gefühlte zweieinhalb Zentimeter weiter nach vorn gekommen bin.
Wieder keine Ware. Warten.
Noch länger warten.
Erste aufgeregte Zwischenrufe.
Dann wieder der Media-Markt-Verkäufer.
Man solle einen Schritt zurückgehen.
Ich konnte nicht anders:

„Zurückgehen? Ich bin doch nich blöd.“

Zum ersten mal fragte ich mich, wie viele Gehirnzellen man sich eigentlich im Schnitt so entfernen lassen muss, bis man auf die Idee kommt, die Ware unter einen klapprigen Verkaufstresen zu legen, statt vorsichtig für Nachschub zu sorgen. Aber gut. Logistik ist nicht jedermanns Fach.
Dass man allerdings nicht in der Lage war, in einem MEDIAMARKT (!!!) eine Lautsprecheranlage zu installieren und den Leuten per Mikrofon mitzuteilen, dass man doch bitte weiter zurück gehen müsse, das verdient meinen ganzen nichtvorhandenen Respekt.
Während dieser verschwitzten Wartezeit gewinnt man Klarheit. Schon im beliebten Online-Rollenspiel selber und hier im Mediamarkt erst Recht spiegelt sich die gesamte Palette menschlicher Verhaltensweisen wieder:
- zunächst Freude (Heut geh ich in den Mediamarkt und hole mein Spiel)
- Hetze (Da, der Stand, ich renne direkt darauf zu)
- Ungebändigte Euphorie (Ich hab ein Spiel…oder auch fünf, wheeeha)
- Leid und Trauer (Ich hab keins bekommen)
- Zorn

Bei Zorn schließt diese Geschichte schon fast. Als man die Meute, die immerhin noch aus rund 800 Wartenden bestand, nämlich nach 20-minütiger Wartzeit damit aus dem Store vertreiben wollte, dass man sagte, jetzt gäbe es – Achtung – nur noch Spiele für Vorbesteller, war die Entgeisterung nicht klein. Mir als erwachsenen Menschen wollte sich der Glaube nicht recht einstellen, dass jetzt bürokratisch korrekt Vorbesteller abgewickelt werden, aber einige zogen unter lautem Schimpfen von Dannen. Bis es plötzlich hieß:
„Hier is noch n Karton.“
Da wurd’s dann hektisch.
Körper knallten aneinander, Menschen sprangen über ausgestellte Staubsauger und griffen in den Karton als hinge ihr Leben davon ab. Ich stand leider strategisch ungünstig, ich hätte meinen Körper durch eine massive Holzpalette preschen müssen und glücklicherweise erinnerte ich mich zügig daran, im echten Leben kein Taurenkrieger zu sein.
Der Laden wurde ziemlich schnell leer. Einige versprengte scharwenzelten um den zerfetzten Stand wie Hyänen um die zerfledderte Kuh. Keine Spiele mehr. Nur noch ein Tisch.
Ein Tisch.
Und darunter. Kartons.
Die wurden aufgerissen. Plötzlich fand auch ich mich unter dem Tisch wieder, die Hand in einen der Kartons hineinsteckend.
28 Jahre erzog mich meine Mutter zu redlichem Verhalten und nun?
Krabbelte ich unter einem Verkaufstisch.
Für ein Computerspiel.
Aber hey…war ja für die Freundin, was soll’s.
Ich konnte sowieso recht locker mit der Sache umgehen, denn meine Collectors Edition war schon postalisch auf dem Weg zu mir und sollte am nächsten Tag eintreffen. Natürlich nur, wenn mein Postbote kein kleptomanisch veranlagter Rollenspielfan ist.
Aber ich möchte die Erfahrung nicht missen.
Wieder hat man viel über andere Menschen und sich selbst gelernt.
Und immerhin…ich war mal wieder an der frischen Luft.
Wir sehen uns mit Level 70.
Und dann gibt’s Haue.

11.1.07

Pennys Wochenrückblick Folge 80: "Dabei ist alles" oder: Deutschland sucht den Superschrott!

Dies ist das erste Mal, dass ich einen Kommentar zu meinem eigenen Wochenrückblick abgebe.
Das ist nun gar nicht meine Art, weil die Texte eigentlich für sich stehen sollten und jegliche Aussage individuell vom Leser erfasst werden muss.
Heute ist es anders:
Was ich Mittwoch im Fernsehen mit anschauen musste, hat mich schlichtweg durchgehauen bis zum Erdkern der Geschmacklosigkeiten. Ich durfte einen Blick darauf werfen, was alles möglich ist, wenn man gewisse Menschen "einfach mal machen lässt".
Die Menschenverachtung, die einem dabei entgegenschlägt, ist eigentlich kaum noch in Worte zu fassen, trotzdem habe ich mich redlich bemüht.
Tut mir einen Gefallen, wenn ihr meine Texte nicht komplett verabscheut:
Schickt diesen Rückblick weiter, druckt ihn aus, lest ihn anderen Menschen vor und lasst Euch nicht blenden von den Dingen, die mitunter im Fernsehen so passieren.
Nichtsdestoweniger wünsche ich Euch auch mit dieser Ausgabe Lese-Spaß.

Bedanken möchte ich mich diese Woche bei der netten Hotline-Dame, die mir meine Foto-Funktion zurückgegeben hat, die ich passwortverschusselnd tragisch verlor.
Ich wiederhols gern: Kompetenz in Reinkultur.










Rückblickend werden die Schultern voller Mutlosigkeit nach unten sinken.
Tränen, dick und gefüllt wie ein kleiner Baby-Tsunami werden faltenreiche Hautpartien entlang kullern und manchen Pulli voll saugen.
Manche werden vielleicht sogar aufschluchzen oder sogar zornig gen Himmel blicken und einen fürchterlichen Fluch ausstoßen.
Die Reaktionen werden vielfältig sein aber durchweg negativ besetzt.
Aber so ist das mit Naturkatastrophen, Grund zum Lachen gibt es nur selten, höchstens mal zynisch, aber schnell danach muss man anerkennen: Wenn der Horror über einen hinwegfegt, bleibt kein Auge trocken, keine Kehle glatt.
Ja, rückblickend werden wir in einem Jahr sagen, dass 2007 nicht bescheidener hätte beginnen können. Berühmte Menschen werden in den nächsten zwölf Monaten wieder zu Grabe getragen, weil auch berühmte Menschen dem Tod ins Auge blicken müssen, der FC Bayern wird aller Voraussicht nach zum 700. Mal Deutscher Meister, weil auch die ambitioniertesten Vereine anerkennen müssen, dass der Papst in südlichen Taschen zu Hause ist und auch so mancher Krieg wird weitergehen, weil der Mensch sein gewaltiges Munitionsrepertoire irgendwo verballern muss.
Doch dies alles wird uns nur mittelmäßig grämen und gruseln.
Alles Schlimme überlagernd wird auf dem Thron der Grausamkeiten Platz nehmen:

Die 4. Staffel von Deutschland sucht den Superstar!

Zunächst blickt man sowieso verwundert drein und haut den Leuten Fragenkataloge um die Ohren.
Warum überhaupt noch eine Staffel?
Klar, weil die Sieger der drei vorausgegangenen Ausgaben der Sendung so ungeheuer erfolgreich im Musikbusiness sind.
Sehen sie mich lachen? Wie ich auf dem Boden liege und mein Gesicht ein bisschen blau anläuft? Können Sie es sehen?
Wir fassen noch einmal (aber wirklich nur noch einmal) zusammen:

Erste Staffel: Ralf Schu….Alexander Klaws

Zweite Staffel: Elli-irgendwas

Dritte Staffel: der rockige Tobias

Dass die Berühmtheitsdauer dieser drei Personen ungefähr auf einer Stufe mit der Zeit liegen, die Schweine vom Stall zum Futtertrog benötigen, scheint eigentlich niemanden zu stören. RTL nicht, weil die das Geld schon vorher durch fingerwundwählende Voting-Kids verdient haben.
Die Jury nicht, weil sie nach den Staffeln zurückkehrt in die Normalität.
Und die Kandidaten?
Ach, die Kandidaten.
Schmerzfrei vom ersten Casting bis zum Abgesang auf die neueste Baumarkt-Stichsäge, mit der sie am Karriereende um die Wette jodeln.
Aber der Reihe nach, wie verlief der Mittwochabend eigentlich?
Soll ja Leute geben, die sich Castingsendungen entsagen, aber trotzdem mitreden wollen und da will ich nicht hinterm Berg halten mit meinen Betrachtungen.

Zu Beginn der Sendungen wurden Zahlenphrasen gedroschen, jaja, selbst der hirndurchlöchertste Mensch dieses Planeten dürfte schon mitbekommen haben, dass am Ende nur ein und wirklich nur ein einziger armer Wicht sich das Banner des Superstars ans Revers heften darf. Vorher kommen viele angerannt und zwar 30.000 Leute, die einen Traum haben:
Sich von Dieter Bohlen beschimpfen zu lassen.
Aber der Reihe nach, mehrmals wird während der Sendung aufbauschend erklärt, wie anstrengend es gewesen sei, 30.000 Personen in 5 Monaten zu casten.
Rechnen wir mal nach:
5 Monate haben im Schnitt gut 150 Tage.
Wenn wir davon ausgehen, dass die dreiköpfige Jury um Bohlen, Henn und Lukaseder jeden einzelnen Tag dieser 5 Monate auf Teufel komm raus gecastet haben, dann kommen wir pro Tag auf 200 Amateurjodler.
Jedem von ihnen wollen wir einen Zeitraum von 7,2 Minuten zugestehen, in diesem Zeitraum stolpern die Probanden in den Castingraum hinein (0,5 Minuten), suchen den Stern, auf den sie sich stellen (0,5 Minuten), stellen sich in aller Ruhe der Jury vor (ich bin der Hans, mein größter Traum ist es, blablabla, 1 Minute), schmettern ihren Evergreen in den Äther (kann bis zu 3 Minuten dauern, wenn’s gut läuft, läuft es schlecht, ist nach einer Minute schon wieder alles vorbei, dann dauert es aber zwei Minuten, in der die Jury einen zur Sau macht), lauschen dem Urteil der Jury (eine Minute oder eben auch zwei, wie eben beschrieben), heulen vor Trauer oder quieken wie ein Glücksschwein (1,5 Minuten inklusive Taschentuchsuche oder dem-Didda-um-den-Hals-fall-vor-Freude) und stolpern wieder hinaus aus dem Castingraum (0,7 Minuten unabhängig vom Gemütszustand).
Macht 7,2 Minuten und das ist doch mal ein toller Zufall.
Denn bei 7,2 Minuten pro Gecasteten kommt man bei 30.000 Probanden auf genau fünf Monate.
Ohne Pause.
Die Jury hat also wirklich unmenschliches geleistet, kein Schlaf, pinkeln durch einen recht langen Schlauch und gegessen wurde auch nur am Jurytisch. So wurde durchgecastet.
Man merkt schon, die Rechnung ist nicht ganz dicht.
Ist aber auch nicht, wir wollen uns ja berieseln lassen und wenn der Dieter sagt
„30.000 in 5 Monaten“, dann wird’s schon so gewesen sein.

Los ging es auf Mallorca, eigentlich DAS Mekka, wenn es um zukünftige Musikprofessoren geht.
Begonnen hat die Sendung dann mit einem Paukenschlag im Stil der Dame, die in der letzten Staffel gläsersplitternd das Wort „Apfelringe“ in die Kameras hauchte.
Johanna, Bäckereiverkäuferin aus Wuppertal, betrat die Bühne um – so sagte sie es selber – „mit dem Dieter mal ein Glas Sekt zu trinken.“
Schon bei ihrer Vorstellung merkte man, wo die Reise auch in der vierten Auflage der Sendung hinging: In den Gulli kulturdurchtränkter Sendekonzepte.
Denn Johanna schaffte es tatsächlich bei der Beschreibung ihrer Vita Vokale, Konsonanten und auch mal ganze Wörter zu verschlucken. Sie wäre wie Marilyn Monroe und reif für Hollywood. Ein bisschen überdreht die Dame, eigentlich sogar komplett bekloppt, wenn man ehrlich ist: die ungekrönte Kaiserin im Lande Freak.
Johanna konnte nämlich viel und davon gar nichts.
Singen, sich bewegen, sprechen, denken.
Menschen wie Johanna sehen eine Fernsehsendung normalerweise dort, wo Menschen wie Johanna eine Fernsehsendung in den Augen der Medienlandschaft zu sehen hat:
Von der Couch aus.
Doch hier zeigt sich, dass es ein Schlupfloch gibt, durch das all die seltsamen Menschen hindurch kriechen können, sie zwängen sich hindurch, reiben sich am ganzen Körper mit Butter ein und flutschen hinein in die für seltsame Menschen empfänglichen und offenen Arme von Dieter Bohlen.
Johanna singt…nein, Moment, sie spricht….nein, auch nicht, sie krächzt in anderthalb Tonlagen „Du hast die Haare schön“ von Micki Krause.
Anderthalb Milliarden Chinesen hätten ihr vorher auf der Fahrradklingel auf fahrradklingelerisch durch die Blume mitteilen können, dass man mit so ziemlich jedem anderen Lied eine geringe, aber doch reelle Chance auf den Recall in Berlin hat.
Aber wurden die anderthalb Milliarden Chinesen gefragt?
Nein.
Johanna durfte wieder gehen, durfte von dannen ziehen, nicht ohne noch einen markanten Satz rauszuhauen:
„Na ja, dabei ist alles!“
Wie schaffte die Frau es bloß, so viele Wörter zu verschlucken?
In der Creative-Abteilung von RTL kippte man vom Stuhl vor Begeisterung. Schenkel wurden wund geschlagen, Münder öffneten sich kiefersperrendrohend zu Erdbeben verursachenden Lachsalven, feuchtgelachte Augen mussten medizinisch behandelt werden, ein Mitarbeiter liegt bis heute im Lachgaskoma:

Dabei ist alles.

Man hatte einen Kalauer allererste Kajüte aus Johanna herausdestilliert und diesen ja wirklich wahrhaftig legendären Satz zu einem Klingelton umfunktioniert.
Die Genfer Menschenrechtskonventionen überlegen darauf hin, Handys generell weltweit zu verbieten.
Nun, als Kontrast kam danach eine nette Dame auf die Bühne, die sich wohl zum Halten gewisser Töne in der Lage sah und weiterkam.
Leider eines von zu wenigen Beispielen.
Von den gecasteten aus Mallorca und Frankfurt hatten die „Bekloppten“ einen Sendeanteil von 80 Prozent.
Die Weiterkommenden wurden zur Minorität erklärt.
Zu einer Dame sagte Heinz Henn im schönsten Kölsch:
„Du warst echt des Jeilste, was mir heut abenne hier jehört ham!“
Wer jetzt als Zuschauer auf des „Jeilste“ gewartet hat, konnte dies tun, bis Stern TV das Licht ausmachte…es wurde schlicht nicht gezeigt.
Weil Deppen-Präsentier-Time war.
So wie der nette junge Herr, der mit seiner Mutter zum Casting erschien.
Leider ist mir der Name des netten jungen Herrn entfallen, ich denke an diesem Abend sind mir so einige Gehirnzellen abhanden gekommen.
Aber egal, der Kerl hatte eine Frisur wie nach einem Kampf mit einem Rasenmäher, der Pulli steckte IN der Jeans und er liebte Comics, Computer und Playstation. Wie man mit so einem Hobby-Repertoire auf die Idee kommt, zum Dieter zu gehen, kann man nur erahnen, vielleicht eine erfolgsgeile Erziehungsberechtigte, vielleicht die schiere Verzweiflung, vielleicht eine falsche Programmierung des Karaoke-Spiels „Sing Star“: niemand wird es erfahren.

Der nette junge Herr stolperte in den Castingraum, machte drei Lampen kaputt, die daraufhin hoffnungslos vor sich hinflackerten, stellte sich vor die Jury und sang so erbarmungslos schlecht, dass ich spätestens an dieser Stelle zu der Vermutung kam, dass das einfach ein Schauspieler sein muss.
Nun, wie auch immer.
Die nicht enden wollende Zahl der Nichttalente war selbst schuld, sie trat an, krakeelte und verhaute Töne in Kamera und Juryohren hinein und dann?
Der Auftritt vom Dieter.
Dem Erbarmungslosen.
Es machte PÄNG, PÄNG, PÄNG.
Tief klaffende Wunden hinterließen die ganz doll fiesen Sprüche vom Dieter bei den Nichtsängern.
Ein Beispiel? Na, wenn Sie’s aushalten:
„Was ist der Unterschied zwischen einem Eimer voll Scheiße und Dir?
Der Eimer?“

Ja.

Okay.

Ja, Sekunde noch.

Nur noch einen Moment.

Ich muss ja warten, bis Sie fertig gelacht haben.

Jetzt mal so richtig Butter bei dem Dieter:
Das ist nicht mal Kindergartenniveau. Das ist nicht verletzend für die Teilnehmer und auch nicht lustig für die Zuschauer, das ist ein notariell beglaubigtes Armutszeugnis an die deutsche Sprache.
Wir sollen natürlich glauben, dass das dem Dieter alles spontan aus der Lunge flutscht, all die tief sitzenden verbalen Schläge.
Aber man ist ja aufgeklärt und ich kann sie fast sogar sehen, die Tapetenrollenartige Sprüchesammlung unter dem Jurytisch.
In monatelanger Kleinstarbeit in Tötensen ausgearbeitet, das ganz gewiss.
Aber Spontaneität? Die nehmen wir dem Dieter nicht ab.
Schön, die Sendung stürmte und steuerte auf ihren Höhepunkt zu wie einst die Titanic auf den Eisberg.
Kurz vor dem Finale gehen wir aber noch mal in uns und fragen uns, warum wir keine Protestbriefe an RTL schreiben, warum wir es akzeptieren, dass Menschen ohne Talent ein derartiges Übergewicht in einer Castingsendung haben, in denen es doch eigentlich um Menschen geht, die singen können sollen und wollen.
Wir erreichen spirituelle Höhepunkte, wenn wir erkennen, dass wir es hier mit vergeudeter Sendezeit auf höchstem Niveau zu tun haben und werden die nächsten Wochen die Finger von der Fernbedienung lassen, wenn es Mittwochabend heißt:
Deutschland sucht den Oberfreak.

So, Finale und Kirsche oben drauf, bitte sehr:
Zum Schluss der Sendung wurde noch eine letzte Kandidatin gezeigt.
Auch diese betrat den Castingraum und hatte im Gegensatz zu all den anderen Kandidaten ein paar Pfund mehr auf den Rippen, unterentwickelte Kleinkinder in der 3. Schulklasse würden sie schlicht und einfach als „Fett“ bezeichnen.
Da wir uns aber nicht bei „Germanys next Top Model“, sondern bei „DSDS“ befanden, konnte man ja wohl davon ausgehen, dass es hier in erster Linie um stimmliche Qualitäten gehen würde.
Ging es aber nicht.
Singen konnte die Frau nicht, aber das war Nebensache, denn zum Einmarsch der Dame wurden erdbebenähnliche Geräusche seitens der Redaktion eingespielt und – damit die Illusion der Naturkatastrophe auch perfekt rüberkommt – wurde bei jedem Schritt am Bild herumgewackelt.
Als die Dame sich dann auf den Hocker setzte (der da ja sonst nie stand), rummste das Bild nach unten, am oberen Bildschirmrand erschien ein dicker schwarzer Balken.
Zu allem Überfluss zupfte die Kandidatin nervös an ihrem T-Shirt, was ebenfalls mit lustigen Keyboard – Sounds unterlegt werden musste, ebenso wie das hektische über-die-Lippen-lecken, was der Dame auch gleich noch den Spitznamen „Schleckermäulchen“ einbrachte.
So.
SO!
Und nun, liebe von Adonissen und weiblichen Models nur so durchseuchte RTL-Redaktion.
Wenn einer von Ihnen demnächst aufgrund eines in der Fernseh-Kantine zuviel verdrückten Pommes-Stäbchens aus Versehen ein paar Gramm zunehmen sollte, so mögen sie doch bitte hervortreten aus der Dunkelheit ihrer unendlichen Ignoranz ans Tageslicht, damit wir uns ganz kräftig über Sie totlachen können.
Danach lassen wir sie noch ein Liedchen trällern und werfen sie abschließend dem Dieter zum Fraß vor.

In diesem Sinne.

8.1.07

Pennys Wochenrückblick Folge 79: Kotbeschmierte T-Shirts und ein teures neues Jahr!

Allen Lesern von "Pennys Wochenrückblicke" möchte ich ein frohes neues Jahr wünschen.
Auch in 2007 habe ich mir fest vorgenommen, wöchentlich einen Rückblick zu veröffentlichen und hoffe, ihn demnächst wieder pünktlich Freitags reinstellen zu können. Danke für Eure Treue, für Euer Lob und Eure Kritik und dafür, dass Ihr immer mal wieder vorbeischaut.
In diesem Sinne.

Take Care

Penny :)




Deutschland irrt durch Strassen und Gassen.
Wir wollen doch, verdammt noch mal. Aber wir dürfen einfach nicht.
Unverschämt. Das T-Shirt hindert uns und das kam so:
Während einst die SPD im Stil einer großen Arbeiterpartei die Mehrwertsteuer ehrbar so lassen wollte, wie sie war, zog die CDU mit einer gewollten zweiprozentigen Erhöhung auf und davon.
Das fand die SPD im Wahlkampf recht dufte, ein besserer Themenball konnte von der verfeindeten Partei gar nicht zugespielt werden und schon wurde aus der Mehrwert-
die Merkel – Steuer. Auch hier wieder ein Beweis dafür, was alles rauskommen kann, wenn Kreativität ungezügelt durch manche Hirnkoppel galoppiert.
Aber gut, musste ja leicht einprägsam sein.

Als der Wähler sich im Kollektiv nicht so recht entscheiden konnte, wer nun dieses Land letztlich an die Wand fährt, beschloss er, dass man das doch am besten gemeinsam tun solle.
Ein vom Wähler taktisch gewählter Zug, bei so einer großen Koalition muss man nur Null und Zwei geschickt zusammenaddieren, daraus den einfachen Durchschnitt bilden und schon kommt man als Steuerzahler mit einer lapidaren einprozentigen Erhöhung davon.
Man hatte da aber die Rechnung ohne die Matheprofis der großen Koalition gemacht.
Die sperrten sich ne Nacht in ein Beratungszimmer und so wurde aus Null und Zwei nicht Eins, sondern halt Drei.
Das kann schon mal passieren, wenn man den Speicher im Taschenrechner nicht löscht, jeder Mathematikschüler weiß eine Ode von solchen Flüchtigkeitsfehlern zu dichten.
Wie es nun zu diesem vollkommenen politischen Blackout die Grundrechenarten betreffend kommen konnte, wurde gleich mit erklärt: Man habe nun einen genauen Blick in die Bücher geworfen und sei sich darüber einig, dass die Haushaltslage – Zitat – „desolat“ sie. Und dass man da was machen müsse.
Deswegen hat man dann Zwei Prozent Merkel-Steuer noch einen Müntefering oben drauf gelegt.
Ob dies nun so alles seine Berechtigung hat, möchten bitte weiterhin die Rechenschieber der Parteien in durchzechten Nächten weiter vor sich hindiskutieren und niemanden aus dem Volk mit den Ergebnissen behelligen.
Doch kommt es auf ulkigen Schritten daher, wenn es heißt, man „habe einen Blick in die Bücher geschmissen!“
Da bekommt man Sender-Empfänger-Probleme mit dem Volk.
Wenn der Politiker sagt: „Es ist nötig, die Steuer so drastisch zu erhöhen, wir haben in die Bücher geguckt!“, dann kommt das beim Wähler nach einer ganzen Armada von uncodierten Wellen im Schallraum zwischen Fernseher und Sofa folgend an:
„Wir haben eigentlich nicht wirklich in die Bücher geguckt, wir wissen ja selbst, dass alles Scheiße ist, wir sagen es nur halt keinem!“

Nun, man kann Protestschilder hochhalten, bis einem der Arm abfault: Zurückgenommen wird das Gesetz nicht.
Wäre ja auch das erste Mal, die Erhöhung ist schließlich dafür da, den Haushalt zu sanieren und zukünftige Generationen nicht einer zu hohen Belastung auszusetzen.
Wenn also dereinst um das Jahr 2258 der Ururururururenkel von Peter Kloeppel in RTL Aktuell verkündet, dass Deutschland schuldenfrei ist, darf mein Ururururururenkel gern an meine letzte Ruhestätte treten und sich mit ein paar Blümchen bei mir für die Entsagungen, die ich Anno 2007 schmerzlich verkraften musste, herzlich bedanken.
Auch im Himmel braucht man nach einiger Zeit ein paar Highlights, da kämen aufmunternde Worte schuldenfreier Generationen gerade Recht.
Nun sind wir ja ein Volk von lauter pflichtbewussten und gewissenhaften Mitbürgern und können es nicht erwarten, den Schuldenabbau Deutschlands endlich voranzutreiben und mehr Wertsteuer zu zahlen.
Lachend und gackernd stürmten wir also am 02.01.2007 schon im Angesicht des Morgentau's die Läden, wedelten aufgeregt mit unseren Scheinen in der Gegend herum.
Und dann das.
Man ließ uns nicht.
„19 Prozent? Mit uns nicht zu machen…“, hieß es im Media Markt.
„Mehrwertwas?“, bekamen wir bei Saturn zu hören.
„Hahahahahaha, nix da, wir geben sogar 19 Prozent Rabatt“, schallte es uns im Praktiker entgegen, im Flüsterton fügte der Verkäufer allerdings noch hinzu: „Ausser auf Tiernahrung, sie verstehen!“

Wir verstanden nicht.
Wo wir auch hingingen, um endlich das zu bezahlen, was die Produkte nach der Mehrwertsteuererhöhung wert waren:
Wir wurden vertröstet.
Eine Frechheit sondergleichen.
Beschwerden beim Filialleiter brachten auch keine Besserung, er könne nicht einfach mehr kassieren, selbst wenn er wollte.
Frustriert verließen wir mit den Geldscheinen die Läden und kauften lieber gar nichts.
Es galt, einen Schuldigen zu finden und das dauerte nicht lang.
Begonnen hatte alles…mit einem T-Shirt.
Aber nicht mit irgendeinem dahergebügelten Shirt, sondern mit dem T-Shirt der Firma KIK.
In der Fernsehwerbung Ende Oktober swoooooshte die Klospülung und der Türöffner drehte sich von einer unfreundlichen 19 auf eine freundliche 16.
Die Tür öffnete sich und das einzige sprechende Werbeshirt mit chronischer Stimmbandentzündung krakeelte ohrenpeingeplagten Zuschauern entgegen, dass es auf „die Mehrwertsteuer scheiße.“
Da musste ich als Mensch, der schon so manchen Werbeunfug gewohnt war, trotzdem heftig schlucken.
Nicht nur, dass der Erfinder und die Synchronstimme für das KIK-Shirt eigentlich lebenslang in eine madenüberfüllte und klammfeuchte Vier-Quadratmeter-Zelle eigesperrt gehören, weil die Stimme einem einfach den letzten Atem nimmt, wenn man nicht rechtzeitig die Mute-Taste der Fernbedienung trifft…jetzt kommt dieses quatschende Textil auch noch daher und setzt sich mal eben locker flockig über einen Beschluss der Bundesregierung hinweg.
Mit der Frage, woher so ein Stück Stoff ohne einen ordentlich funktionierenden Darm eigentlich den Stuhlgang für die Steuer-Bekotung herbekommen soll, konnten wir uns übrigens nur deshalb noch nicht beschäftigen, weil wir immer noch nicht wissen, wie dieses Ding ohne Stimmbänder so widerwärtig sprechen kann.
Hier muss ich übrigens einen kleinen Exkurs einschieben:

In der Werbewelt gibt es ja so manch nervige Gestalt, die uns quält mit Gesten, Worten, Dialekten. Neben dem KIK-Shirt sind da die Klitschkobrüder, der Rübenwalder Wurst-Cowboy und der Kreuz-Paar-Reimefuchs von Spee als abschreckende Beispiele zu nennen.
Berichtet man im Bekanntenkreis augenrollend vom Ankotzpotential der genannten Figuren, tritt immer ein von Bauernschläue übersättigter Zeitgenosse auf die Bühne Partiesker Erzählkunst, um den strunzdummen und cocktailtomatenverzehrenden Konsumzombies um ihn herum darüber aufzuklären, dass genau dieser Nerv-Faktor gewollt ist, man nur so im Gespräch bleibt und auch dementsprechend die Produkte verkauft.
Mein Vorsatz für 2007 lautet daher, diesen Zeitgenossen den Mund zuzukleben, bevor sie ihren Unsinn in die Welt zu hauchen in der Lage sind.

Ich persönlich kenne nämlich wirklich niemanden, der sich Spee-Waschmittel in die Waschküche stellt, nur weil der Reimefuchs so ein furchtbar tolles Erzähltalent besitzt oder weil er ihn sogar nervt. Wir leben doch in einer aufgeklärten Gesellschaft und gehen doch bitte davon aus, dass wir unsere Produkte aufgrund von Qualitätsmerkmalen in den Einkaufswagen bugsieren und nicht, weil die Werbung einen so wunderbar unwiderstehlichen Brechreiz in uns wach kitzelt.
Auf jeden Fall war das Shirt Auslöser einer Massenbewegung, denn von nun an verzichtete Kunz und Hinz auf die Erhöhung. Plötzlich sollte keiner mehr sein verbrieftes Recht auf „mehr zahlen“ mehr wahrnehmen dürfen. Müssen wir uns so etwas gefallen lassen?
Pennys Wochenrückblicke sagt NEIN!
NEIN zum Mehrwertsteuerrabatt.
Frau Merkel, erheben sie sich im Bundestag und wischen dem KIK-Shirt den Hintern ab.
So dass wir endlich in ein paar Wochen in der Lage sind, den gerechtfertigten Preis für die Produkte in unserem Land zu zahlen.

6.1.07

Pennys Wochenrückblick Folge 78: Das Weihnachtsmarytrium vom kleinen Max!

Hier haben wir es also schwarz auf zitronengelb: Die zweite Weihnachtsgeschichte von Max. Wer die erste seinerzeit verpasst hat, der sollte vor der Lektüre dieses Textes nochmal hier drauf klicken:

KLICK!

und bis zum Punkt "Heiligabend, 2 Uhr Nachts" runterscrollen,
damit man einen Eindruck bekommt, wer Max ist, warum er so ist wie er ist und weshalb er ein dezentes Problem mit dem Weihnachtsfest an sich hat.

Der Rückblick für diese Woche erscheint übrigens Samstag, den 06.01.2007
Und nun viel Spass beim Lesen des etwas anderen Wochenrückblicks.





Ich heisse Max.
Hier erzähle ich von meinem Weihnachtsfest 2006.
Eigentlich fing alles gut an, bis das Universum mir die Faust ins Gesicht rammte.
Mum überraschte mich dabei, wie ich mit den Füssen kniehoch im Dreck stand und mit der Schaufel die Erde in ihrem Keller umgrub. Sie schaute ein Stück weit irritiert und macht Kapriolen mit ihren Augenbrauen, fing sich aber recht schnell und offenbarte mir, dass wir dieses Jahr über Weihnachten auf die Alm fahren, in eine Berghütte.

Eine Berghütte.

Vor Freude schmiss ich die Schüppe in die Ecke, drehte mich grinsend im Kreis und ließ mir von meiner Mum aus dem Loch helfen. Ich hetzte nach oben, ihre aufgeregten Schreie den Lehm an meinen Schuhen betreffend ignorierend, um im meinem Zimmer die Sachen zu packen. Wie aufgeregte Spatzen flogen die Wintersocken, die Skimütze, der Anorak, die Gummistiefel, ein Ventilator (für die Sauna), noch mehr Wintersocken und ein Snowboard durch die Luft und in meine Tasche rein. Aufgeregte Einwände seitens meiner Erzeugerin, dass das Snowboard nicht in die Tasche passt, ignorierte ich in all meiner Aufbruchfreude.
Sollte dies das erste Weihnachten sein, das ich in Frieden erleben darf? Ohne zerscheuerte Mundwinkel? Ohne noch mehr Haare zu verlieren? Ohne den Gedanken, dass Massenmord eine durchaus vernünftige Lösung für gewisse Probleme darstellt? Ich sollte mich so irren.

Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Weil meine Mutter so nervös war. Weil mein Vater unbedingt wollte, dass im Auto viel Platz bleibt, die Größe von 3 nebeneinander gestapelten Umzugskartons. Es war noch dunkel, es war drei Uhr morgens, ich war noch müde und wehren konnte ich mich nicht. Hätte ich je geahnt, dass meine Eltern mit einer derart kalten Berechnung durchs Leben laufen, ich hätte mich strikt geweigert, den Geburtskanal durch den Vordereingang zu verlassen. Als ich gerade auf dem Weg war, mein Snowboard aufs Autodach schnallen wollte, fiel mir alles hin. Das Board. Mein Kinn. Mein Hirn. All meine inneren Organe machten einen Buckel und schrieen, sie schrieen „TOTALVERSAGEN!“
Meine brennenden Augen konnten kaum glauben, was sie da auf der Eingangstreppe erblickten.
Beziehungsweise WEN sie erblickten.
Tante Frieda.
Und sie hatte ihre Tuba mitgebracht.
Und Onkel Hubert.
Einen kurzen Schimmer der Hoffnung sirrte summend durch die Tiefen meiner Schädeldecke, Tante Frieda würde auf unsere Katze aufpassen, während ich mit meinen Eltern das erste Weihnachten seit Menschengedenken verbringe, an dem ich nicht ständig das Gefühl habe, mich durch meine Gehörgänge erbrechen zu müssen.
Doch dann fiel mir ein, dass wir gar keine Katze hatten und beim Anblick der Todes-Tuba fiel mir dann ein, warum mein Vater Platz im Kofferraum ließ.
Durch die schlitzigen Augen entdeckten ein Meter fünfzig Frieda mich, worauf sie ihre ein Meter achtzig Tuba Onkel Hubert in die Arme schmiss und auf mich zueilte, wendig und zügig wie immer.
„Mäxchen!“, keifte sie.
„Määäääxchen, komm in meine Arme!“ und es wurd mir schwarz, tiefschwarz vor Augen als ich mit ansehen musste, wie sie in ihre Krokodillederhandtasche nach etwas schlimmen griff.
Dann nur noch Dunkelheit und ein lauter Knall.

Nach Äönen wachte ich wieder auf. Meine Mundwinkel fühlten sich verseucht an und einige meiner Nasenhaare schienen weggeätzt zu sein. Hat sie es tatsächlich getan? Hat sie?
„ABER DA WAR EIN FLECK!“, schrie Tante Frieda meinen Vater an.
„Herrgott, Frieda, er will es doch nicht!“
„ABER DER FLECK MUSSTE WEG…SEIN GANZER MUND WAR VOLL!“
Ich zuckte unwillkürlich zusammen und nur ein Mitleid erregend schauender Onkel Hubert hielt mich davon ab, erneut ins Kurzzeitkoma zu fallen. Tante Frieda hatte tatsächlich ihr Taschentuch von 1457 aus der Tasche gezogen und mich malträtiert, während ich schon nicht mehr bei Bewusstsein war. Tante Friedas Speichelgestank vernebelte mir das Hirn und ich fragte mich betäubt, ob man sie nicht irgendwie mit den Genfer Menschenrechtskonventionen zur Rechenschaft ziehen könnte.
Tante Frieda versucht mir die Mundwinkel auszuradieren, seit ich Drei war. Es war ihre Obsession, ihre Bestimmung. Ständig sah sie andere Dinge an meiner Kauluke und eigentlich spielte es keine Rolle, ob es Knäckebrot, Apfelreste oder Lippenstift war, der – Fleck – muss – weg.
Ob Tante Frieda ein aus der Hölle entflohener Putzteufel war, war die erste Frage, die ich mir schon zu meiner Einschulung stellte, noch vor der Frage, warum man einem harmlos schauenden Bären einen so bescheuerten Namen wie „Umi“ verpasste.

Die Fahrt auf die Alm war der blanke Horror. Eingeklemmt zwischen dem stoischen stillen Onkel Hubert und der irren Tante Frieda. Mein Mund brannte wie ein loderndes Lagerfeuer und meine Mutter konnte mich nur überzeugen einzusteigen, nachdem Tempo-Frieda ihre Taschen geleert hatte. Wer nun denkt, dass ich eine geruhsamere Fahrt verbringen konnte, darf sich gern getäuscht sehen. Denn auch, wenn die Todes-Tuba im Kofferraum eingesperrt war und während der Fahrt nicht raus kam, ließ meine liebe Tante meinem Vater eine selbstbespielte Kassette mit den besten Polka-Ufftata-Hits zukommen, inklusive kratzig-knarzigem 1.1 Sound und nur unterbrochen von einem flehenden Onkel Hubert, der sie auf der Kassette bat, aufzuhören und dass das keinen interessiert.
Ich konnte Frieda genau sehen, wenn ich die Augen schloss, sie nahm einen Locher oder einen Aschenbecher und zielte und….na ja, das Pflaster auf Onkel Huberts Kopf sprach Bände. Zum Glück hatte ich meinen Walkman dabei, so konnte ich das Getröte ignorieren und ein bisschen schlafen. Allerdings konnte man vom richtigen Schlaf kaum sprechen, ich war wie ein Soldat im Einsatz darauf gefasst, dass der Feind brutal zuschlagen konnte. Schließlich hatte Tante Friedas karierter Kratzmantel auch noch Innentaschen…

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie ich die Fahrt überstanden habe, aber irgendwie muss ich es geschafft haben. Doch schrecklich war die Zeit. Selbst auf dem Rastplatz war sich Tante Frieda nicht zu fein, ein Höllenfeuer zu entfachen. Meine Mutter hatte die an sich nicht schlechte Idee, hart gekochte Eier in Alufolie für die Pausen einzupacken, eine nette Geste an sich und eigentlich folgenlos, wenn man mit normalen Menschen verreist. Nicht so bei Tante Frieda:
„Brigitte, wo ist denn das Salz?“
Sie hatte ihre Schwester auf dem falschen Fuß erwischt, das konnte man schon klar am Tonfall raushören.
„Das…äh…wie?“
„Salz, Brigitte. Für das Ei. Du weißt schon, man streut Salz auf Eier, wenn man sie isst. Zumindest bin ich so aufgewachsen. Also gib mir den Streuer, damit wir weiter können. Dieser Rastplatz mit all den LKW’s macht mich ganz krank.“
Das stumme Öööööööhm meiner Mutter, dieses Darbieten der Halsschlagader, dieses sinnlose Aufgeben machte mich fast wahnsinnig. Wie immer in solchen Momenten musste mein Vater einschreiten.
„Frieda, Brigitte hat das Salz wohl zu Hause verg…!“
Na, ihr könnt Euch vorstellen was dann los war. Einem schlimmen Vorwurfs-Stakkatto von Tante Frieda in Richtung meiner geplagten Mutter folgte der stapfende Gang ins Rastplatz-Restaurant, wo jeder andere normale Mensch bestimmt einen Salzstreuer bekommen hätte, wenn er nicht gerade Tante Frieda heißt, mit einem Alu-Ei in der Hand die Tür aufdonnert und „Wo in diesem beschissenen Saftladen bekomm ich hier ne Prise Salz?“ brüllt. Schon nach wenigen Minuten kam sie zurück, das Ei unbestreut, der Kragen ein bisschen ungeordnet.
„Eine Frechheit, eine FRECHHEIT! Uwe, gib mir mal die Tuba aus dem Kofferraum, denen werd ich’s schon…“
Da hab ich mir wieder meinen Walkman auf die Ohren gepackt. Es gab noch einen unschönen Zwischenfall, als der Koch aus dem Restaurant auch nach der Tuba-Interpretation von „We Will Rock You“ das gewünschte Gewürz nicht rausrücken wollte. Häufig fragte ich mich, warum man in solchen Momenten Tante Frieda nicht einfach aussetzt und wegfährt, weit, weit weg.
Ich sag’s Euch: Tante Frieda findet Euch überall. Ihre Taschentücher riechen nach Eurem Mundwinkel und wenn sie Euch findet, dann schrubbt sie Euch alle fünf Sinne weg, bevor ihr auch nur in der Lage seid, bei Kofi Annan anzurufen. Deswegen: Aussetzen ist nicht, ertragen muss man es.

Vielleicht hilft es, Tante Frieda zu verstehen, wenn man mehr von ihr weiß….Auch wenn ich das beim besten Willen nicht glaube, es gibt nämlich nichts Positives zu berichten, wenn ich länger drüber nachdenke. Den rot-lila karierten Mantel trägt sie schon seit der französischen Revolution. Ich bin überzeugt, wenn sie sich abends in ihr Schlafgewand schmeißt, stellt sie vorher den Mantel in die Ecke. Aufhängen unnötig. Das Ding steht wie ein verschämter Schüler in der Ecke, bis er wieder benutzt wird. Sie trägt ihn auch im Sommer. Vielleicht findet sie ihn toll, weil er viele Taschen hat…und da kann man Tücher….aber ich will nicht zuviel darüber nachdenken. Durch ihre hornige Brille kann sie – das ist meine Überzeugung – nur bis zur ihrer Nase und keinen Nanometer weiter gucken. Trotzdem gelingt es ihr, unschuldige Menschen punktgenau anzuvisieren und zu traktieren mit Beschimpfungen und Taschentüchern. Onkel Hubert dagegen, der sagt nichts. Weil er mit den Jahren gelernt hat, dass tief fliegende Aschenbecher das Leben nicht einfacher machen. Und schon gar nicht, wenn man nach dem Volltreffer auf Stirnhöhe auch noch die Asche wegsaugen darf.

Nun, die Hütte war geschmackvoll und ich hatte mein eigenes Zimmer. Ich konnte es sogar abschließen, auch wenn ich wusste, dass Tante Frieda über verschlossene Türen nur müde lächelt. Zum Glück war schon am nächsten Tag Heiligabend. Mit Speichelgeruch in der Nase flüchtete ich aus der Welt der Wachen.

24 Stunden später befand ich mich in der Hölle.
Ein hektischer Blick aus dem Fenster zeigte mir: es gibt keinen Fluchtweg. Vor mir erstreckte sich der Berg zu allen Seiten steil nach unten, ich könnte auf dem Snowboard flüchten, aber wie weit würde ich wohl kommen, wenn Tante Frieda sich auf ihre frischpolierte Tuba…vermutlich keine sieben Meter.
Meine Mutter lag ohnmächtig in der Küche, mein Vater kauerte weinend in einer Ecke der Blockhütte und Onkel Hubert? Der saß stoisch im Ohrensessel und verfolgte mit erstaunlicher Ruhe die Szenerie. Eigentlich hätte ich es erkennen und mich darauf vorbereiten müssen. Das verdammte Geschenk passte einfach nicht unter den Baum, wie auch. So was hält aber Tante Frieda nicht ab, kommt der Prophet nicht zum Berg undsoweiter. Also wurde es runter gequetscht, der Weihnachtsbaum mit all seinem Lametta wurde brutal zurückgedrängt, weil Tante Frieda ihr Riesenpaket unbedingt unter der Tanne installieren musste.
Beim Essen war noch alles normal. Tante Frieda aß nicht, sie fraß auch nicht. Sie verschlang.
Schon als kleines Kind hatte ich die irrationale Angst, dass Tante Frieda eines Tages einen Kontinent aufessen würde, wenn sie mit normaler Nahrung nicht mehr satt zu kriegen sein würde. Vermutlich würde sie mit Australien anfangen, so als Art Vorsuppe. Aber wie gesagt, das war ich gewohnt. Auch Onkel Huberts leicht an den schiefen Turm von Pisa angelehnte schräge Körperhaltung hatte sich über die Jahre eingespielt und lag nur in der völlig vernünftigen Sorge begründet, dass einer der umherflitzenden Hühnerknochen aus Tante Friedas Hand seinen Kopf durchbohren könnte. Da sollte man keine Witze drüber machen, mein Vater hat mal einen ganzen Nachmittag damit verbracht, eine von Frida verzehrte Schwarzwurzel wieder aus der Wand zu ziehen. Mit einer Zange. Natürlich könnte man ihr auch nur leicht verdauliche Puddingspeisen kredenzen, aber bei diesem Vorschlag hob meine Mutter immer mahnend den Zeigefinger:
„Dann isst sie den Hubert auf, ich schwör’s euch!“
So sahen wir die toten Tiere bei unseren Familienessen immer mit einer Mischung aus Erleichterung und Mitleid an, gefolgt von dem wenig christlichen Gedanken:
Besser du als wir.
Nach dem Essen und nach der immer wiederkehrenden Anspielungen von Tante Frieda, dass sie es eigentlich kaum fassen könne, dass es in dieser Almblockhütte tatsächlich und wirklich einen Salzstreuer gab, was meine Mutter sehr mitnahm, sollte das Grauen seinen Lauf nehmen.
Ich musste mein Geschenk zuletzt auspacken, alles um mich herum war schon fertig, es gab das übliche Krawattengedöns, man kennt das ja.
Doch Tante Friedas von Putenhautfetzen bedeckte Zähne grinsten mich an.
„Jetzt Du, Mäxchen!“
Was würde es sein?
Etwa was Schönes?
Vielleicht ein eigenes Taschentuch? Eines, das nur nach mir riecht?
Aber dafür war das Geschenk zu groß…Ich zerrte es unter dem Baum hervor, zerriss das Papier und…
„Du hast mir eine….eine…eine Tuba geschenkt?“
Ihr Kopf nickte nur euphorisch.
„Eine…TUBA?“
„Ja, Mäxchen genau. Eine Azubi-Tuba. Sie ist kleiner als meine. Damit wir endlich zusammen spielen können. Vielleicht gehen wir mal auf Tournee.“
An die folgenden Ereignisse hab ich leider keine rechten Erinnerungen. Ich meine mich an unglaubliches Gegacker meinerseits erinnern zu können, gefolgt von einem nicht enden wollenden Brechreiz, dem ich auch direkt nachgab. Habe ich wirklich den noch nicht ganz verdauten Weihnachtspunsch in das Geschenk meiner Tante…? Hab ich? Dann hab ich im Rausch der Gefühle irgendetwas gesagt, das so ääähnlich klang wie:
“Wenn die Hölle zufriert, wenn die apokalyptischen Reiter über die Kontinente galoppieren, wenn Schweine das Sprechen lernen, wenn all dies passiert, selbst dann werde ich noch Jahrmillionen davon entfernt sein, gemeinsam mit Dir einen Song auf diesem Folterinstrument zu spielen.“
So ähnlich hab ich’s wohl gesagt. Tante Friedas Mundwinkel zuckten nur kurz und dann….ging es los:
Wie gesagt, meine Mutter ist ohnmächtig, Onkel Hubert nicht stoisch, sondern vielleicht schon nicht mehr unter uns, mein Vater wird vielleicht nie mehr aufhören zu weinen auf diesem Berg auf der Alm. Und ich hocke in meinem Zimmer, während die Tuba an die Tür klopft, leise und rhythmisch und Tante Friedas Stimme durch das dunkle Holz ertönt.
„Mäxchen, mach auf. Wir spielen jetzt OH DU FRÖHLICHE…...AUF DEINER NEUEN TUBA!“
Und ich wünsche mir nur, dass ich doch eher angefangen hätte, den Tante Frieda Fluchttunnel zu graben. Nicht erst am 2. Dezember. Was soll man mit einem Tunnel, der keine siebeneinhalb Meter lang war? Würde es überhaupt jemals einen Tunnel geben, der Zuflucht verschafft vor dieser Person? Mein Weihnachtswunsch für’s nächste Jahr. Und jetzt wäre es nett, wenn jemand das FBI ruft.

4.1.07

Wasserstandsmeldung!

Da die "Zeit zwischen den Jahren" ein bisschen stressig war, verschiebt sich Max' Martyrium auf diesen Freitag. Dafür erscheint dann aber auch gleich der neue Rückblick mit dazu, es wird also mal wieder gedabblefeatured sozusagen.

Take Care

Penny

Sorry bitte an alle, die warten mussten, ich senke mein Haupt in Demut.