Pennys Wochenrückblick Folge 91: Wir machen aus Knuts Fell eine Herrenhandtasche
Von wegen süß: Kaum konnte Knut im Alter von drei Jahren dem Gehege entwischen, musste der erste unbescholtene Schneemann, der seinen Weg kreuzte, einen bitterlichen Tod erleiden. Das tut gar nicht Knut.
Noch vor wenigen Monaten wusste man in Deutschland ganz genau, was man von Bären zu halten hatte. Mit Knopf im Ohr fröhlich im Kinderbett hockend war Meister Petz so gerade eben noch akzeptabel, Gefahr ging von einem Stofftier offensichtlich keine aus, es sei denn es handelte sich um ein importiertes Spielzeug, der deutschen Industrienorm in Sachen „Abbrennen“ nicht angepasst.
Für echte Bären dagegen galten klare Regeln und die waren unmissverständlich. Traute sich einer von ihnen über die deutsche Grenze, galt es stoibersche Bedingungen einzuhalten, um nicht von heut auf morgen zum Problembär erklärt zu werden, was also hieß:
Krallen in die Taschen, Schafe Schafe sein lassen, sich nicht in Supermarktschlangen einreihen und arme Konsumenten verschrecken, sowie Cocktailpartys und Busfahrten fernzubleiben.
Folgte man diesen Immigrationsrichtlinien für Pelzträger nicht, war man zum Abschuss freigegeben.
Die Nulltoleranz-Botschaft lautete: Benimmst Du dich nicht mit Pelz und Tatze, schießen wir Dir mit Schrot ne Glatze.
Haust ein Bär im Zoo oder im Zirkus, verhält es sich natürlich schon anders: Aufgrund von Plastikscheiben und gesicherter Entfernung kann man sich die Mitesserablassende Nase an so einer Scheibe prima platt drücken und schauen, was ein Bär den lieben und langen Tag so treibt. Gefahr droht an so einer Stelle nur dann, wenn man dieser Sichtweise ein bisschen Thrill geben möchte und über den Zaun klettert. Solche Menschen hat es ja immer wieder mal gegeben, es mag schlicht Langeweile gewesen sein oder die vehement vertretene Überzeugung, dass der Bär doch auch nur ein Tier sei und nichts Böses im Sinn hätte. Und dann kletterten die Leute, um der nicht ganz so freundlichen Ausgabe von Winni Puh Hallo zu sagen. Nicht selten zeigte der Gesichtsausdruck Verwunderung, wenn man mit zerfetztem Hemd und gebrochenen Knochen aus dem Gehege gezerrt wurde.
Hat man als Zuschauer Pech und niemand ist bekloppt genug, sich ins Gehege zu trauen, ist das Betrachten eines Bären nur selten eine Akt psychischer Aufregung, denn die meisten erwachsenen Tiere sitzen den lieben langen Tag in ihrer Botanik und lassen ihren Pfleger einen guten Mann sein. Keins der Tiere beginnt spontan zu jonglieren oder fachmännisch einen Lachs auszunehmen.
Man hat da falsche Vorstellungen.
Doch jetzt, ja jetzt ist alles ganz anders.
Wir haben Knut. Sind "Knut-isten". Finden Knut zum Knutschen, finden Knut gut, finden ihn total dufte.
Zunächst prägte Mitleid das Bild der Nachrichten, der arme kleine Eisbär wurde von seiner Mama vor die Höhle gelegt und somit verstoßen und das fanden alle schon mal reflexartig traurig.
Dabei weiß doch niemand, was der Kleine in seinem kindhaften Leichtsinn nicht schon alles angestellt hatte, vielleicht wurde Mamis Höhle direkt nach der Geburt von Knut voll gekotzt oder die frisch gestrichenen Wände wurden mit kleinen Krallchen traktiert. Da kann ein Erziehungsberechtigter – Tierwelt hin oder her – schon mal sauer werden.
Spielte alles keine Rolle, der Kurze wurde vom Pfleger adoptiert und fortan von diesem aufgezogen und man bekam sich vor lauter Beömmelei ja nicht mehr ein, was der kleine Knut nicht alles anstellte. Erlegte einen Fußball, machte einer Schnur den Garaus, verpasste dem (bestimmt nicht billigen) Pulli des Pflegers ein löchriges Aussehen. Natürlich ist das alles schrecklich süß, aber einen derartigen Sturm der Erzückung rechtfertigt es nicht, schließlich verhält Knut sich so wie die meisten Tierbabys, er ist verspielt, bis er pennen geht oder Hunger hat.
Und bei Knut misst man mit zweierlei Maß, denn wenn im entfernten Düsseldorfer Aqua Park eine Flabellina iodinea, eine Fadenschnecke das Licht der schnelllebigen Welt erblickt und verspielt-begeistert über Stock und Stein kriecht, ist der Menschenandrang ein geringerer.
Hinzu kommt, dass man sich ja bis heute nicht einig ist, ob Tiere denken können und wenn ja, was sie da denken. Vielleicht denkt Knut ja auch:
Mann, Mann, hab ich einen Hunger, wann gibt’s die nächste Pulle? Na egal, ich hab hier noch ne Rechnung mit dem Gummistiefel offen und ich werd ihn fertig machen. Wenn nur all diese komischen Leute nicht wären, die mir in meine empfindlichen Ohren kreischen. Wenigsten hat mir die Anna-Lena ein Bild gemalt, auch wenn meine Nase nicht ganz getroffen ist. War ja klar, dass ich das Bild nicht in meinem Käfig aufhängen darf, blöde Zoo-Ordnung.
Zwischendurch war man in heller Aufregung, denn Knut sollte dieser Welt entschlafen, sollte ins Bärseits befördert werden, weil – und das ist auch wieder ulkig, was man sich als Mensch so alles anmaßt – dieses hinterm Pfleger hertippeln nun so gar nichts mit artgerechter Haltung zu tun hat. Wird ein Eisbär also von seiner Mutter verstoßen, ist sein Leben im Prinzip verwirkt. Als Totschlagargument galt bei den Befürwortern dieser Theorie, dass man’s erst neulich beim Lippenbären genauso gemacht hätte. Im Kinderchor schallt es aber den Tötungswilligen schrill entgegen: „’N LIPPENBÄR ISS ABBA NICH SO SÜÜÜÜÜÜÜSS!“
Da man sich nicht den Zorn Hunderttausender Kids aussetzen möchte, hat man Knut so gelassen wie er war. Und das ist gut so. Sonst würden wir ja nicht mitbekommen, wie die sie zu Tausenden das Zooparkett platttreten, an allen anderen Tieren vorbei, auch am Pandabärin Yan Yan, die vor Eifersucht umkam. So konnte man es in mancher Zeitung lesen. Offiziell war’s ja ein Darmverschluss, aber wenn man davon ausgeht, dass die Bärin in aller Einsamkeit gestorben ist, weil keiner mehr ein Bambusblatt zwischen die Gitterstäbe gehalten hat, dann klingt das schon mal grundsätzlich dramatischer.
Doch erklären tut das die Hysterie um Knut nicht, was ist es also dann?
Vielleicht wird Knut so sehr geliebt, weil es mit dem frei lebenden Eisbären allmählich wegen schmelzender Polkappen zu Ende geht. Wenn also dereinst der letzte Eisbär auf der letzten Scholle seinen letzten Tanz aufführt, können wir als Deutsche unser globales und klimatisches Gewissen prima mit einem Zoobesuch erleichtern.
Dann winken wir Knut zu, dem letzten Eisbären.
Blöd dass er da schon nicht mehr so süß sein wird, wie er es heute vorgibt. Täglich nimmt der Kleine 200 Gramm Gewicht zu, ein Albtraum für jede „Germanys next Topmodel“ schauende Frau. Der Niedlichkeitsfaktor wächst also von Tag zu Tag aus ihm heraus und schon in drei Monaten ist Knut derart muskelbepackt, dass es beim Anknabbern des Pflegerpullis durchaus sein könnte, dass da ein paar Sehnen und Muskeln mit rausgerissen werden. Dann hat es sich natürlich mit dem Bildermalen und Liedersingen, dann ist Schluss mit lustig, dann kommt der Edmund nach Berlin (endlich!!!) um sich „vom Ausmaß der Katastrophe zu überzeugen“, wie es im Nachrichtenjargon oft so süffisant heißt.
Bittere Tränen fließen, während Edmund Stoiber stotternd verkündet, dass auch die Fellfarbe eines Bären diesen nicht davor schützt, äh, bei der, Unter, also ich meine Übertretung gewisser moralischer und ethischääär Grundsätze, also wenn der sich selbst im Zoo aufführt wie ein Problembär, also, dann müssen wir den, ja, totmachen.
Daraufhin druckt die BILD wieder ein Poster mit dem jungen und ungefährlichen Knut und ganz Deutschland weint die Druckerschwärze aus dem Boulevardblatt heraus.
Vermutlich wird es so nicht kommen, weil der Pfleger bei Sinn und Verstand das Eisbärgehege rechtzeitig gegen das Schlafzimmer tauscht. Knut wird groß und keine Sau interessiert sich mehr für den ehemals Bejubelten, stattdessen wird es irgendwann auf der letzten Seite im Stern heißen: „Was macht eigentlich…der Knut?“
Und so wird Knut interwjut.
Er wird von Eisbärenfrauen erzählen, die er gern im Gehege hätte, von seinem großen Traum mal ein berühmter Sänger zu sein und davon, eines Tages mal selbst an den Polen jagen zu gehen und sich im Schnee zu tarnen, wie es sich für einen Eisbären gehört: Die schwarze Nase mit der weißen Tatze verdecken.
Und abschließend wird er sagen, dass er froh ist, dass der Rummel ein Ende hat, dass nicht jede seiner Bewegungen mit spitzen Schreien kommentiert wird und keine kleinen Kinder mehr in Ohnmacht fallen, nur weil er sich auf den Hosenboden setzt und freundlich in die Runde winkt.
Wünschen würde man es ihm schon.
Statt nun für Eisbärsouvenirs das Sparbuch zu plündern, möge man seine Zeit sinnvoller investieren: Abonnier den Wochenrückblick mit einer Email an
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